256 Siebenter Abschnitt: Die einzelnen Zweige der Verwaltung. $ 283
ordnung wird definiert, welchen Sinn sowohl in Gesetzen als in Rechtsge-
schäften gewisse Mass- und Gewichtsbezeichnungen haben. Diese Defini-
tionen enthalten dispositive Rechtssätze; sie kommen nur dann
zur Anwendung, wenn nicht aus den ausdrücklichen Erklärungen der Par-
teien oder aus den Umständen sich ergibt, dass die Parteien mit jenen
Ausdrücken einen anderen Sinn verbinden wollten. Denn die Ein-
führung eines Mass- und Gewichtssystems schliesst die Verwendung
von anderen Mass- und Gewichtssystemen im geschäftlichen Verkehr eben-
sowenig aus, wie die gesetzliche Anerkennung eines Münzsystems die Par-
teien hindert, Preisverabredungen nach einer ausländischen oder gesetzlich
ausser Kurs gesetzten Währung zu treffen. Jedoch haben die Verwaltungs-
behörden des Reichs und der Einzelstaaten in ihrer amtlichen Tätigkeit
das vom Reiche anerkannte Mass- und Gewichtssystem in Anwendung zu
bringen, und es ist den Einzelstaaten untersagt, im Wege der Landesge-
setzgebung andere Mass- und Gewichtsbestimmungen einzuführen.
Ausserdem ist mit dem Erlass der Mass- und Gewichts-Ordnung für den
Verkehr auch ein zwingender Rechtssatz geschaffen worden, indem der
Gebrauch anderer als obrigkeitlich geeichter Masse und Gewichte verboten
und den Eichungsämtern die Abstempelung anderer als in der Mass- und
Gewichtsordnung zugelassener Masse und Gewichte untersagt ist. Auf der
Konibination dieser beiden Verbote beruht die Einführung und Sicherung
des einheitlichen Mass- und Gewichtssystems. Das an die Behörden der
Einzelstaaten gerichtete Verbot findet seine rechtliche Garantie in der dem
Reiche zustehenden Oberaufsicht und in der Verantwortlichkeit der Be-
amten für die Gesetzmässigkeit ihrer amtlichen Handlungen. Das an die
Untertanen gerichtete Verbot ungestempelter Masse und Gewichte betrifft
nur den Gebrauch derselben zum Zuwägen und Zumessen im
öffentlichen Verkehr !). Der Begriff des Zuwägens und Zumessens erfordert
eine Handlung, findet also keine Anwendung auf Waren, welche bereits
abgemessen oder abgewogen sind. Nur wenn Wein, Obstwein und Bier in
Fässern zum Verkauf kommt, muss die den Raumgehalt der Fässer bildende
Zahl der Liter durch Stempelung beglaubigt sein ?2). Wer in Ausübungeines
Gewerbes Masse, Gewichte und Wagen anwendet und bereit hält, welche
mit dem gesetzlichen Eichungsstempel nicht versehen sind, oder wer sich
einer anderen Verletzung der Vorschriften über die Mass- und Gewichts-
polizei schuldig macht, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft
bestraft ®). Neben der Geldstrafe ist auf die Einzichung der vorschriftswidrigen
Masse, Gewichte, Wagen oder sonstigen Messwerkzeuga zu erkennen. Auch
bei der gewerbsmässigen Abgabe elektrischer Arbeit dürfen nur solche Mess-
werkzeuge zur Bestimmung der zu leistenden Vergütung verwendet werden,
1) Dies gilt auch von Massen, Gewichten und Wagen zur Ermittelung des Ar-
beitslohnes in fabrikmässigen Betrieben. M. u. Gew.O. $ 6.
2) M. u. Gew.O. $ 9. Ausgenommen, wenn Wein, Obstwein und Bier in Original-
gebinden weiter verkauft wird.
3) M. u. Gew.O. $ 12. Unter Strafe gestellt sind Verfehlungen gegen die $$ 6—9,
11, 13 des Ges. Dadurch hahen $ 369 Abs. 2 des Strafgesetzb. sowie $ 5 des Reichsges.
v. 20. Juli 1885 ihre Geltung verloren.