Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

90 Zweiter Abschnitt: Das rechtliche Verhältnis d. Reiches zu den Gliedstaaten $2 
  
Punkt zur begrifflichen Unterscheidung von Staat und Gemeinde!). 
Hieraus ergibt sich aber andererseits, dass de Souveränetätin 
dem Sinne einer höchsten, obersten, an keinem Punkte einem fremden Willen 
rechtlich unterworfenen Gewalt nicht zu den wesentlichen Eigenschaften 
des Staates gehört. Denn eine Persönlichkeit, welche nach oben in irgend 
einer Beziehung einer rechtlichen Gewalt unterworfen ist, kann gleichwohl 
Herrschaftsrechte über freie Menschen und deren Vereinigungen, also eine 
Staatsgewalt haben. Wenn sie hinsichtlich der Ausübung oder Nichtausübung 
ihrer Herrschermacht von einer höheren Gewalt rechtlich verpflichtende und 
erzwingbare Vorschriften empfängt, so ist sie nicht souverän, aber ihre Hoheits- 
rechte sind weder vernichtet, noch in Rechte jener höheren Gewalt umge- 
wandelt. Man kann also nach Gerbers zutreffeondem Ausdruck die Sou- 
veränetät als eine Eigenschaft der vollkommenen Staatsgewalt 
bezeichnen; aber ein wesentliches Element des Staatsbegriffes 
ist sie nicht 2). 
Auch das Völkerrecht steht hiermit in Uebereinstimmung. Nur Staaten 
sind völkerrechtsfähig, d. h. Subjekte internationaler Rechtsverhältnisse. Die 
Voraussetzung, welche das Völkerrecht für die Anerkennung als Staat ver- 
langt, ist eine selbständige Herrschaft über Gebiet und Untertanen, aber 
nicht eine von jeder höheren Gewalt unabhängige Herrschaft, oder mit 
anderen Worten, das Völkerrecht erkennt auch ‚halbsouveränen“, d. h. nicht 
souveränen Staaten die Eigenschaft des internationalen Rechtssubjektes zu. 
Hiernach ist es mit dem Staatsbegriff vereinbar, dass Staaten einer 
über ihnen stehenden öffentlichen Gewalt, einem Oberstaate unterworfen, 
oder mit andern Worten: zu einem zusammengesetzten Staate korporativ 
verbunden sind. 
II. Während im einfachen Staate Land und Leute der Herrschaft der 
einen Staatsgewalt unterworfen sind, besteht in dem zusammengesetzten 
Staat oder Staatenstaat eine doppelte Gliederung. Land und Leute sind 
zunächst einer Unterstaatsgewalt unterworfen und die Staaten einer Ober- 
staatsgewalt, welche wir mit dem Ausdruck Reichsgewalt bezeichnen. 
Das dirokte, unmittelbare Objekt der in der Reichsgewalt enthaltenen Herr- 
schaftsrechte sind die Staaten; dieselben als Einheiten, als juristische 
Personen des öffentlichen Rechts sind die Mitglieder, die Untertanen des 
  
1) Ueber abweichende Ansichten und deren Kritik vgl. mein Staaisrecht des D.R. 
(5. Aufl.) IS8.62ff. Wenn Rosenberg in der Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. 
1909 8. 58 dagegen geltend macht, dass Städte in Mecklenburg und Lippe bis 1879 
Patrimonialgerichtsbarkeit als eigenes Recht hatten, so kommen diese Ueberbleibsel 
des feudalen oder ständischen Staats für den Staat der Gegenwart nicht in Betracht. 
2) Ueber die Entwicklung des Souveränctätsbegriffs und die verschiedenen Rich- 
tungen, in denen er verwendet wird, siehe Jellinek, Allgem. Staatslehre S. 421 ff. 
Rehm, Allg. Staatslehre S. 40 ff. 61. Die zahlreichen Meinungsverschiedenheiten, 
welche auch in der neuesten Literatur noch herrschen, und hier im einzelnen nicht dar- 
gestellt werden können, beruhen zum grossen Teil darauf, dass mit dem Wort „Souverä- 
netät‘‘ein sehr mannigfacher, bisweilen sogar ein mehrfacher Sinn, verbunden wird. 
Diese Mehrdeutigkeit des Wortes ist bis auf Bodinus zurückzuführen; vgl. meine 
Ausführungen im Arch. £. öffentl. R. Bd. 10 S. 112. Der Streit ist daher öfters ein blosser 
Wortstreit oder die Gründe und Gegengründe bewegen sich in so verschiedenen Bahnen, 
(lass sie einander nicht treffen.
	        
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