Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

332 Achter Abschnitt: Das Gerichtswesen. $ 35 
  
keine „Strafsache‘‘. Hier ist die Grenze verhältnismässig sicherer, wie bei den 
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Zum grossen Teil ist sie auch hier vom 
Reiche durch die Strafgesetzbücher und die einzelnen Strafgesetze, sowie 
durch einzelne Verwaltungsgesetze gezogen ; zum andern Teil ist sie durch die 
Landesstrafgesetzgebung bestimmt. 
Wenngleich nun im allgemeinen davon auszugehen ist, dass die bürger- 
lichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen zur Entscheidung der Gerichte 
gestellt werden, so können doch gewisse Streitsachen, welche sich nach der 
Natur des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses als bürgerliche Rechts- 
streitigkeiten oder nach dem Tatbestand als Strafsachen charakterisieren, 
dennoch der Entscheidung durch die Gerichte entzogen und Verwaltungsbe- 
hörden oder Verwaltungsgerichten überwiesen sein, weil sich an die Art der 
Behandlung und Erledigung dieser Angelegenheiten ein besonderes verwal- 
tungsrechtliches oder politisches Interesse knüpft. Welche Angelegenheiten 
dies sind, ist nicht durch ein einfaches und gemeingültiges Prinzip bestimmt; 
es beantwortet sich vielmehr diese Frage in jedem Einzelstaat nach dem Ge- 
samtinhalt seines Rechts. Das Reich hat für eine nicht unerhebliche An- 
zahl von Fällen die gesetzliche Anordnung getroffen, dass für sie der Rechts- 
weg nicht ausgeschlossen werden darf und ebenso für andere Fälle die Zu- 
ständigkeit von Verwaltungsbehörden oder des Bundesrats anerkannt; im 
allgemeinen aber hat das Reich es den Einzelstaaten überlassen, 
die Zulässigkeit des Rechtsweges anzuerkennen oder zu versagen und da- 
mit die Linie zu ziehen, welche die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit von 
anderen staatlichen Funktionen, insbesondere von der Verwaltung, ab- 
grenzt. 
Insoweit aber der Einzelstaat den Rechtsweg gestattet, ist er dann nicht 
mehr befugt, die Verhandlung und Entscheidung den ordentlichen Gerichten 
zu entziehen und besonderen Gerichten zu übertragen. Hierzu ist nach 
dem GerichtsverfGes. das Reich allein berechtigt und es kann diese Be- 
fugnis in zweifacher Weise ausüben, teils indem es selbst besondere Gerichte 
bestellt und diesen gewisse Rechtssachen zuweist, teils indem es für ge- 
wisse Rechtssachen besondere Gerichte zulässt und es den Einzelstaaten 
freistellt, ob sie von der Erlaubnis zur Errichtung derselben Gebrauch machen 
wollen. Das Reich hat beides getan. Es hat besondere Gerichte bestellt, 
nämlich die Konsulargerichte, die Schutzgebietsgerichte !), die Oberver- 
sicherungsämter und das Reichsversicherungsamt, die Schiedsgerichte und 
das Oberschiedsgericht für Streitigkeiten aus der Angestelltenversicherung, 
und die Militärgerichte, wozu noch im Falle der Verhängung des Belagerungs- 
  
1) Ob die Konsulargerichte und Schutzgebietsgerichte als ordentliche oder als 
besondere Gerichte zu bezeichnen sind, kann wegen ihrer Zuständigkeit in bürger!l. 
Streitigkeiten u. Strafsachen zweifelhaft erscheinen. Hellwig, Zivilprozess I S. 69 
rechnet sie zu den ersteren, weil die ganze Einteilung sich nur auf die inländische Ge- 
richtsbarkeit bezieht. Massgebend ist aber m. E., ausser dem Wortlaut des $ 12 des 
GerichtsverfGes., dass das Gerichtsverf.Ges. und die Prozessgesetze des Reichs auf 
diese Gerichte keine Anwendung finden, sofern sie nicht für sie besonders in Kraft 
gesetzt sind und nur mit denjenigen Abänderungen u. Vorbehalten, die dabei gemacht 
sind.
	        
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