334 Achter Abschnitt: Das Gerichtswesen. 835
eine Bürgschaft zu geben, dass die Vorentscheidung nicht nach Willkür ge-
fällt und zur Versagung des Rechtsweges missbraucht werde, hat das Reichsges.
die Vorschrift erteilt, dass in den Bundesstaaten, in welchen ein oberster Ver-
waltungsgerichtshof besteht, die Vorentscheidung diesem, in den anderen
Bundesstaaten dem Reichsgericht zusteht.
2. Von besonderer staatsrechtlicher Wichtigkeit ist die Frage, in welcher
Weise die Staatsgewalt in der streitigen Gerichtsbarkeit sich geltend
macht. Hier ist nun zunächst festzuhalten, dass die Entscheidung
einesRechtsstreites nicht wesentlich ist, da einerseits die streitige
Gerichtsbarkeit des Staates in zahlreichen Fällen ausgeübt wird, in denen es
an einem Streit völlig gebricht, indem der Beklagte den Anspruch des Klägers
anerkennt oder die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung zugesteht, und
andererseits die Entscheidung eines Rechtsstreites durch Urteil auch ohne alle
Mitwirkung staatlicher Behörden und ohne Inanspruchnahme staatlicher Ho-
heitsrechte, insbesondere durch Schiedsspruch oder durch Erkenntnis auswär-
tiger Gerichte, erfolgen kann.
Was insbesondere die bürgerlichen Rechtsverhältnisse anbelangt, so er-
kennt der Staat die Freiheit der Individuen innerhalb der von der Rechts-
ordnung gezogenen Schranken an. Insoweit diese Schranken freien Spiel-
raum lassen, hat der Staat kein Interesse daran, wie die privatrechtlichen Ver-
hältnisse der einzelnen gestaltet werden; er sichert den Individuen gerade da-
durch einen gewissen Kreis persönlicher Freiheit, dass er ihre privatrecht-
lichen Beziehungen nicht inhaltlich fixiert. Er hat daher auch nicht die
Aufgabe darüber zu wachen, dass die infolge dieser Freiheit begründeten An-
sprüche im Einklang mit den objektiven Rechtsregeln realisiert werden. Das
bürgerliche Unrecht als solches ruft nicht die Repression des Staates hervor;
er ist nicht der Wächter und Beschützer der Privatrechte um ihrer selbst
willen; er erkennt vielmehr ebenso wie in der Begründung, so auch in der
Geltendmachung der Rechtsansprüche das Dispositionsrecht der Parteien an.
Der Staat hat daher kein unmittelbares Interesse, die Privatrechtsverhält-
nisse der ihm unterworfenen Individuen ‚festzustellen‘; seine Aufgabe be-
steht vielmehr nur darin, den letzteren Rechtsschutz zu gewähren
d.h. den Landfrieden aufrecht zu erhalten und die Selbsthilfe auszuschliessen
und dafür den einzelnen mittelst der Staatsgewalt zu ihrem Rechte zu ver-
helfen. Die Erfüllung dieser Aufgabe erkennt der Staat als seine Pflicht an
und hieraus ergibt sich, dass der einzelne ein Recht hat, die Gewährung des
Rechtsschutzes vom Staat zu verlangen, so oft er desselben benötigt ist.
DieKlageistdemnachdieBitteumGewährungdieser
staatlichen Hilfe; das Urteil ist die Entscheidung über Gewährung
oder Versagung dieser Bitte. Wird der dieser Bitte zugrunde liegende An-
spruch des Klägers gegen den Beklagten von diesem bestritten, so ist zu-
nächst festzustellen, ob der Kläger den von ihm behaupteten Rechtsanspruch
darzutun vermocht hat. Diese Feststellung ist aber niemals das eigentliche
Endziel des Prozesses, sie ist nur präparatorisch für die Hauptent-
scheidung, ob dem Kläger zur Durchführung seines Anspruchs die Macht