8 35 Die Gerichtsbarkeit. 337
und dem richtigen Sinn der Rechtsnorm widerspricht, ohne dass er von den
Organen des Staates selbst aufgehoben werden kann, während der Verwaltungs-
befehl zurückgenommen werden kann und soll, sobald seine tatsächliche und
rechtliche Unrichtigkeit erkannt wird. Aber der Urteilsbefehl gilt und wirkt
nur für den einen konkreten Fall, nicht wie der Gesetzesbefehl als Norm für
eine unbestimmte Anzahl von Tatbeständen, und er wirkt demgemäss dra-
stisch, nicht wie der Gesetzesbefehl hypothetisch. So wie bei der Gesetzge-
bung der tatsächliche Schwerpunkt in der Feststellung des Gesetzentwurfs
(Findung der Rechtsregel) liegt, die Sanktion dagegen sich fast der Wahrneh-
mung entzieht, so ist auch bei der Erledigung von Rechtsstreitigkeiten die
Feststellung des konkreten Rechts allein von praktischer Wichtigkeit;
dass der urteilsmässig anerkannte Rechtsanspruch unter den Schutz des
Staates genommon und nötigenfalls mit den staatlichen Machtmitteln durch-
geführt wird, versteht sich von selbst und braucht nicht besonders erklärt zu
werden.
3. Hinsichtlich der Frage, welche Personen der ordentlichen strei-
tigen Gerichtsbarkeit unterworfen sind, muss man zwischen dem prozessua-
lischen und dem staatsrechtlichen Gesichtspunkt unterscheiden. In der ersten
Beziehung handelt es sich um den sogen. Gerichtsstand, d.h. um
die Zuständigkeit eines oder mehrerer bestimmter Gerichte in einer konkreten
Prozesssache; in der letzteren Beziehung ist die Frage identisch mit der,
welche Personen der Staatsgewalt unterworfen sind; jedoch ist die Möglich-
keit gegeben, dass der Staat gewisse ihm unterworfene Personen von seiner
Gerichtsbarkeit eximiert. Den Einzelstaaten ist diese Befugnis hinsicht-
lich der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit entzogen; sie dürfen keine
Exemtion erteilen. Durch Reichsgesetz sind von der Gerichtsbarkeit be-
freit:aus völkerrechtlichen Gründen ausser den ausländischen Staa-
ten und Souveränen !) die Chefs und Mitglieder der beim Deutschen Reich
oder einem Bundesstaat beglaubigten auswärtigen Missionen und, sofern dies
in Verträgen des Deutschen Reiches mit anderen Mächten vereinbart worden
ist, die im Deutschen Reich angestellten Konsuln 2); aus staatsrecht-
lichen Gründen die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen
Familien, jedoch mit Ausnahme der vermögensrechtlichen Verhältnisse ®).
Auch ist das landesgesetzlich den Standesherren gewährte Recht auf „Aus-
träge“ d. h. auf Pairsgerichte in Kriminalsachen erhalten geblieben ?).
1) Vgl. die eingehende Erörterung dieser Frage von Edg. Löning, Die Ge-
richtsbarkeit über fremde Staaten u. Souveräne. Halle 1903. A. Ans. Hellwig
Civilproz. I S. 118. Vgl. ferner die Rechtsgutachten in der Sache v. Hellfeld gegen
den Russischen Fiskus, welche in der Zeitschrift f. Völkerrecht und Bundesrecht Bd. 4
(19810) S. 309—448 abgedruckt sind; ferner Triepelim Arch. des öffentl. R. Bd. 28
S. 212ff.u. Bornha k im Jahrbuch des öffentl. R. Bd. 5 S. 230 ff.
2) GerichtsverfGes. $ 18—21. Die nicht preussischen Mitglieder
des Bundesratessind gemäss Art. 10 der RV. von der preussischen Ge-
richtsbarkeit in gleichem Umfange wie Geschäftsträger auswärtiger Staaten befreit.
Ihr allgem. Gerichtsstand bestimmt sich nach $ 15 der ZivilprozOrd. und $ 11 der Straf-
prozOrdn.
3) Siehe das Nähere in meinem Staatsr. d. D. Reichs III. S. 369 fg.
4) EinfGes. zum GerichtsverfGes. $ 7. Ueber Sinn und Tragweite dieser Stelle
vgl. mein Staatsr. d. D. R. III S. 371 £f.
Laband, Beichsstaatsrecht. 6. Aufl. 22