gS4 Das Subjekt der Reichsgewalt. 97
schaften, als Einheiten gedacht, das Subjekt der Staatsgewalt und als solche
Mitglieder des Reiches. In diesem Sinne kann man daher sagen, dass die
deutschen Fürsten und freien Städte in ihrer Gesamtheit die Träger oder
Inhaber der souveränen Reichsgewalt sind. Daraus und aus der aus der Zeit
des Deutschen Bundes stammenden Tradition rechtfertigt es sich, dass die
Landesherren der Einzelstasten ihre persönliche Souveränetät und
alle damit verbundenen staatlichen und völkerrechtlichen Ehrenrechte unge-
schmälert behalten haben und dass auch die Einzelstaaten als solche ebenfalls
die völkerrechtlichen Ehrenrechte der souveränen Staaten noch jetzt ausüben.
Die deutschen Fürsten sind nicht für ihre Person, sondern als Oberhäupter
ihrer Staaten Mitträger der Reichsgewalt. Wenn ein deutscher Landesherr ab-
dankt oder sonst in rechtlicher Weise die Vertretung seines Staates verliert,
so verliert er zugleich den Anteil an der Reichsgewalt; im Falle einer Regent-
schaft ist nicht der nominelle Monarch, sondern in seiner Vertretung der Regent
Mitsouverän des Reichs. Es gibt im Deutschen Reiche keine Personalisten ;
das Deutsche Reich ist kein Fürstenbund, sondern ein aus den deutschen Staa-
ten gebildeter Staat. Wenn zwei deutsche Staaten in einer Personalunion
verbunden werden, so bleibt für jeden der Anteil an der Reichgewalt gewahrt
und unverändert.
Aus dem Grundsatz, dass der Einzelstaat als Mitglied des Reiches
mitberechtigt an der Reichgewalt ist, ergibt sich ferner, dass die Ausübung
dieser Mitgliedschaft eine Lebenstätigkeit des Staates ist, die im innigsten
Zusammenhange mit den übrigen Betätigungen des staatlichen Lebens steht,
und dass der Landesherr bei der Ausübung dieser Seite des staatlichen Han-
delns keine andere Stellung hat, als sie ihm das Öffentliche Recht seines
Staates überhaupt anweist. Die Ausübung der Mitgliedschaft, die sich nament-
lich, wenngleich nicht ausschliesslich, in der Instruktion der Vertreter des
Staates im Bundesrat betätigt, kann daher nicht getrennt oder losgelöst
werden von der Regierung des Staates; die Instruktion der Bundesratsmit-
glieder gehört zu den Regierungsgeschäften des Einzelstaates und alles, was
staatsrechtlich oder faktisch einen Einfluss hat auf das Zustandekommen des
Staatswillens, hat diesen Einfluss auch hinsichtlich der Ausübung der Reichs-
mitgliedschaft. Eine wichtige Konsequenz dieses Satzes besteht darin, dass
die Regierung des Einzelstaates nach Massgabe des Staatsrechts dieses Staates
politisch und rechtlich verantwortlich bleibt für die Art und Weise, wie sie
die Mitgliedschaft am Reich ausübt !). Diese Verantwortlichkeit bezieht sich
nicht auf die Beschlüsse des Bundesrats; noch. viel weniger auf Reichs-
gesetze, bei denen der Bundesrat überdies durch die Zustimmung des Reichs-
tags gedeckt ist; es handelt sich vielmehr lediglich um die Verantwortung für
Regierungshandlungen des Einzelstaates, d. h. um die Verantwortung für die
Instruktions-Erteilung an die Vertreter des Staates im Bundes-
rate, beziehentl. für die Unterlassung einer Instruktionserteilung, wo eine solche
1) Vgl. Fürst Bismarck im verfassungsberat. Reichstage. Stenogr. Berichte
393, 397 und im Reichstag v. 1867. Stenogr. Ber. 135. 137. 2