3 36 Die Gerichtsverfassung, 343
zessgerichts vorzunehmen ist, so muss das Gericht dieses anderen Bezirks um
Vornahme der Handlung ersucht werden. Das Ersuchen ist immer an das
Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen
werden soll, ohne Unterschied, welcher Ordnung das ersuchende Gericht
ist 1). Das ersuchte Gericht darf das Ersuchen nicht ablehnen, ausser wenn
ihm selbst die örtliche Zuständigkeit niangelt oder wenn die vorzunehmende
Handlung nach dem Rechte des ersuchten Gerichts verboten ist. Die Bun-
desstaaten sind verpflichtet, die gerichtliche Rechtshilfe einander unentgelt-
lich zu leisten 2):
$ 36. Die Gerichtsverfassung. Um die Struktur der Gerichtsverfassung
richtig würdigen und den Zusammenhang des Ganzen klar übersehen zu
können, ist esnotwendig, dass man die Gerichtsordnung von zwei verschie-
denen Gesichtspunkten aus betrachtet, die man als den prozessualischen und
den organisatorischen oder verwaltungsrechtlichen bezeichnen kann. Von
dem prozessualischen Gesichtspunkte aus erscheinen die Gerichte als be-
schliessende und erkennende Behörden, und ihr gegenseitiges Verhältnis er-
gibt sich aus ihrer Zuständigkeit und ihrer Unter- und Ueberordnung im In-
stanzenzuge. Vom organisatorischen Gesichtspunkte aus betrachtet, sind die
Gerichte administrative Bildungen, Bestandteile des staatlichen Behörden-
systems, die zwar zu Zwecken der Rechtspflege geschaffen und dieser Be-
stimmung gemäss eingerichtet sind, die aber als solche gar keine oder wenig-
stens regelmässig keine prozessualen Funktionen ausüben.
1. DieOrdnungdererkennenden Gerichte. Diebür-
gerlichen Rechtsstreitigkeiten zerfallen in zwei Klassen, die man in
Kürze als kleine und grosse Rechtssachen bezeichnen kann. Die ersteren
sind vermögensrechtliche Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldes-
wert die Summe von 600 Mark nicht übersteigt ®), ferner die in $ 23 Ziff. 2
des Gerichtsverf.Ges. aufgeführten Streitigkeiten; endlich die Konkurse
und das Aufgebotsverfahren. Die zweite Klasse umfasst alle übrigen zivil-
rechtlichen Ansprüche.
Für die erste Klasse sind zuständig in erster Instanz die Amtsrich-
ter (berufsmässige Einzelrichter), in zweiter Instanz die Zivilkam-
mern der Landgerichte (Kollegien von drei berufsmässigen Richtern).
Die Prozesse der zweiten Klasse werden verhandelt und entschieden in erster
1) GerichtsverfGes. $ 158. Nur wenn in einen anderen Gerichtsbezirke eine Frei-
heitsstrafe vollstreckt oder ein Verurteilter zum Zweck der Strafverbüssung ergriffen
und abgeliefert werden soll, ist das Ersuchen an die Staatsanwaltschaft bei dem Land-
gerichte des Bezirks zu richten. Daselbst $ 164. Freiheitsstrafen, welche die Dauer von
6 Wochen nicht übersteigen, sind von demjenigen Bundesstaate zu vollstrecken, in wel-
chem der Verurteilte sich befindet. $ 163.
2) Durch den internationalen Vertrag über den Zivilprozess v. 17. Juli 1905 (RGBi.
1909 S. 409) ist unter den Vertragsstaaten eine Rechtshilfe hinsichtlich der Zustellun-
gen und der Vollstreckung der Urteile über Prozesskosten vereinbart worden. Dazu
das Ges. v. 5. April 1909 (RGBl. S. 430). Besondere Abmachungen sind mit Luxemburg,
den Niederlanden und Norwegen getroffen worden. Bekanntm. v. 16. Aug. 1909 (RGBl.
S. 907). Ferner mit Schweden, der Schweiz, Oesterreich und Dänemark (RGBl. 1910
S. 458; 874; 871); endlich mit Frankreich durch Vereinb. v. 6. April 1911 (RGBl. 8. 161).
3) GerichtsverfGes. $ 23 Ziff. 1 in der Fassung des Ges. v. 1. Juni 1909. Ausge-
nommen die im GVG. $ 70 Abs. 2 aufgeführten Ansprüche.