Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

340 Achter Abschnitt: Das Gerichtswesen. 
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schaft eine völlig freie Autonomie und Verwaltung. Die Uebereinstimmung 
in der Gliederung der Gerichte und der Staatsanwaltschaften und das in den 
Prozessordnungen geregelte Zusammenwirken beider Behörden ist gewähr- 
leistet durch das im $142 des GerichtsverfGes. ausgesprochene Prinzip: „Bei 
jedem Gerichte soll eine Staatsanwaltschaft bestehen‘. Während das staats- 
anwaltschaftliche A m t bei den beschliessenden und erkennenden Spruch- 
gerichten ausgeübt wird, folgt die behördliche Organisation der 
Staatsanwaltschaft der Gliederung der Gerichtsbehörden. Für die Organi- 
sation der Staatsanwaltschaft besteht aber die Grundregel, dass sie eine ein- 
heitliche Behörde ist, bei welcher die ihr angehörenden Beamten den dienst- 
lichen Weisungen ihrer Vorgesetzten hinsichtlich ihrer Amtsverrichtungen 
Folge zu leisten verpflichtet sind. Der Ausdruck „Staatsanwaltschaft‘‘ um- 
fasst daher die Gesamtheit der bei den verschiedenen Gerichten zur Wahr- 
nehmung der staatsanwaltschaftlichen Funktionen bestellten Beamten; die 
„Staatsanwaltschaft eines Gerichts‘ ist nur eine staatsanwaltschaftliche 
Station. Die Leitung der am Reichsgericht bestellten Reichsanwaltschaft 
steht dem Reichskanzler, die Leitung aller staatsanwaltschaftlichen Beamten 
der einzelnen Staaten der Landes justizverwaltung, also in allen Fällen 
einem Verwaltungschef zu!). Jedoch die Ueberwachung der Ausfüh- 
rung der Reichsgesetze, welche nach Art. 17 der RV. dem Kaiser zusteht, 
erstreckt sich auch auf diejenigen Reichsgesetze, durch welche die Organi- 
sation und Tätigkeit der Staatsanwaltschaften normiert wird. 
Nach dem GerichtsverfGes. $ 151 ist die Staatsanwaltschaft in ihren 
Amtsverrichtungen von den Gerichten unabhängig und eine in sich geschlos- 
sene und einheitlich geleitete Behörde; durch die Strafprozess-Ordnung ist 
jedoch dieses Prinzip durchbrochen worden. Es gilt für die Betreibung der 
Strafverfolgung seitens der Staatsanwaltschaft das sogen. Legalitäts- 
prinzip; d. h. die Frage, ob eine Strafverfolgung eintreten soll oder nicht, ist 
nicht nach Zweckmässigkeitsrücksichten, politischen Erwägungen u.dgl. zu 
entscheiden, sondern die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, soweit 
nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, wegen aller gerichtlich strafbaren 
und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche 
Anhaltspunkte vorliegen ?). Zur Sicherung dieses Grundsatzes ist, falls die 
Staatsanwaltschaft einem Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine 
Folge gibt oder das Verfahren einstellt, dem Antragsteller, wofern er zu- 
gleich der Verletzte ist, die Befugnis gewährt, eine gerichtliche 
Entscheidung herbeizuführen °). Zuständig zur Entscheidung ist in den vor 
das Reichsgericht gehörigen Sachen das Reichsgericht, in anderen Sachen 
das Oberlandesgericht. Erachtet das Gericht den Antrag für begründet, 
so beschliesst es die Erhebung der öffentlichen Klage, und die Staatsanwalt- 
schaft ist alsdann zur Durchführung dieses Beschlusses verpflichtet. 
1) Teber die Konsequenzen, welche sich aus dem Trinzip ergeben, siehe mein 
Staatsr. d. D.R. Bd. IIL S 417 ff. 
2) StrafprozO. $ 152 Abs. 2. 
3) StrafprozO. $ 170 ff. Viel. nein Staatsr. dd. D. R. TIL S,. 424 fg.
	        
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