3 38 Die Zeugenpflicht. 351
amtfür Privatversicherung!'). Einigen anderen Behörden, näm-
lich den Postbehörden im Strafverfahren bei Post- und Portodefraudationen,
dem Patentamt, den Seeämtern und dem Oberseeamt, den Finanzbehörden in
dem Verwaltungsstrafverfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen die Steuer-,
Zoll- und Abgabengesetze ?), sowie den Ehrengerichten der Rechtsanwalts-
Kammern und dem Börsenehrengericht ?) ist das Recht eingeräumt, Zeugen
vorzuladen und zu vernehmen; behufs Erzwingung der Zeugnisablegung
müssen sich diese Behörden aber an die ordentlichen Gerichte wenden, denen
zur Pflicht gemacht ist, einem darauf gerichteten Ersuchen zu entsprechen.
2. Die Zeugenpflicht ist keine Untertanenpflicht wie die Gerichtspflicht
und die Wehrpflicht, sondern sie ist lediglich der Reflex eines Zwanges, den
die Staatsgewalt zum Zweck der Handhabung des Rechtsschutzes ausübt.
Nicht die persönliche Staats- oder Reichsangehörigkeit ist eine Voraus-
setzung der Zeugenpflicht, sondern dieselbe trifft jeden, der räumlich der
Staatsgewalt unterworfen ist. Daher sind Personen, welche sich im Inlande
aufhalten, zeugenpflichtig, gleichviel ob sie reichsangehörig oder fremd sind;
init Ausnahme derjenigen Personen, welche von der Gerichtsbarkeit
eximiert sind (Landesherren und das Personal der Gesandtschaften). An-
dererseits sind Personen, welche sich im Ausland befinden ®), nicht zeugen-
pflichtig, ohne Unterschied, ob sie reichsangehörig sind oder einem fremden
Staat angehören; falls sie durch Requisition eines ausländischen Gerichts zur
Ablegung eines Zeugnisses angehalten werden können, ist es die Staatsgewalt
des Staates, in dessen Gebiet sie sich aufhalten, welche den Zeugenzwang gegen
sie ausübt.
3. Der Inhalt der Zeugenpflicht lässt sich in drei Bestandteile zer-
legen.
a)DieErscheinungs pflicht d. i. die Pflicht auf ordnungsmässig er-
folgte Ladung vor dem Gericht persönlich zu erscheinen). Auch diejenigen
Personen, welche im gegebenen Falle zur Verweigerung der Aussage gesetz-
lich berechtigt sind, müssen der Ladung Folge leisten. Die Verletzung der
Pflicht ist mit Ordungsstrafen bis zu 300 Mk., event. Haft bis zu 6 Wochen
bedroht, auch kann der ausgebliebene Zeuge zwangsweise vorgeführt werden.
Wer, als Zeuge vorgeladen, sein Ausbleiben durch Vorspiegelung einer un-
wahren Tatsache entschuldigt, wird mit Gefängnis bis zu 2 Monaten bestraft.
Strafgesetzb. Art. 138.
b) Die Pflicht zur Aussage (Zeugnispflicht)®) d. h. die Pflicht des
1) Reichsges. v. 12. Mai 1901 $ 78 (RGBI. S. 163).
2) Reichsges. v. 9. Juni 1895 $ 8 (RGBl. S. 257).
3) Rechtsanwaltsordn. $ 66, 86, 87; Börsengesetz $ 14 Abs. 2: 26. Ueber (die Zeu-
genpflicht im Disziplinarverfahren siehe Staatsr. d. D. R. II. 8. 456 ig.
4) Ausgenommen die der Konsulargerichtsbarkeit und der Marine- und Militär-
gerichtsbarkeit im Auslande unterworfenen Reichsangehöt igen.
5) Die im $ 49 der StrafprozO., im $ 207 der Militärstrafgerichtsordn. und im
$ 382 der ZivilprozO. aufgeführten Personen (hohe Beamte, Mitglieder des Bundesrates,
des Reichstages, der Landtage) sind von dieser Pflicht nicht befreit, sie sind aber vor das
Gericht eines gewissen Ortes (ihres Amtssitzes oder Aufenthaltsortes) vorzuladen.
6) StrafprozO. $$ 67,68. Militärstrafgerichtsordn. $193, 194. ZivilprozO. $8 395, 396.