Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

s 40 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen. 359 
2. Behufs Ausübung des Befehls ist der Kaiser berechtigt, den Höchst- 
kommandierenden eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche Truppen 
mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten zu 
ernennen. Die von ihm ernannten Offiziere leisten ihm den Fahneneid. Auch 
innerhalb der einzelnen Kontingente darf die Ernennung der Generale und 
der Offiziere, welche Generalsstellungen versehen, nur mit jedesmaliger Zu- 
stimmung des Kaisers erfolgen. RV. Art. 64 Abs. 2). 
3. Der Kaiser hat das Recht der Inspektion und ist befugt, die Ab- 
stellung der bei den Inspektionen vorgefundenen Mängel anzuordnen. RV. 
Art. 63 Abs. 3. 
4. Der Kaiser hat den Präsenzstand, die Gliederung und Einteilung der 
Kontingente des Reichsheeres zu bestimmen. RV. Art. 63 Abs. 4. Insoweit 
aber im Wege der Reichsgesetzgebung hierüber Vorschriften ergangen sind, 
was insbesondere hinsichtlich des stehenden Heeres im Frieden durch die 
$s$ 2 und 3 des Militärgesetzes und die dazu ergangenen Novellen geschehen 
ist, kann der Kaiser diese Befugnis nur innerhalb der gesetzlichen Schranken 
ausüben. Hinsichtlich der Landwehr hat der Kaiser das Recht, die Organi- 
sation und Gliederung zu bestimmen; er ist dabei aber an die gesetzliche 
Vorschrift gebunden, dass die Territorialeinteilung des Bundesgebietes in 
24 Armeekorpsbezirke als Grundlage zu dienen habe. (Militärges. $ 5 in der 
Fassung des Gesetzes v. 14. Juni 1912.) Die Kriegsformation des Heeres 
sowie die Organisation des Landsturms bestimmt der Kaiser, ohne dass er 
hierbei irgend welchen gesetzlichen Einschränkungen unterliegt. 
5. Der Kaiser hat das Dislokationsrecht, d. h. das Recht, die Garnisonen 
der einzelnen Truppenkörper innerhalb des ganzen Bundesgebietes zu bestim- 
men. RV. Art. 63 Abs. 4. Ueber die Ausübung dieses Rechtes sind aber den 
meisten Staaten in den Militärkonventionen bestimmte Zusicherungen er- 
teilt worden. 
6. Der Kaiser hat das Recht, die kriegsbereite Aufstellung eines jeden 
Teils des Reichsheeres anzuordnen und die Reserve, Landwehr und See- 
wehr sowie den Landsturm zu den Fahnen einzuberufen. RV. Art. 63 Abs. 4. 
7. Zudenmilitärischen Rechten des Kaisers zählt die Reichsverf. 
auch die Befugnis desselben, falls die öffentliche Sicherheit in dem Bundes- 
gebiet bedroht ist, einen jeden Teil desselben in Kriegszustand zu erklären. 
RV. Art. 68. Die Erklärung des Kriegszustandes ist im wesentlichen als 
die Einführung einer Militärdiktatur zu bezeichnen. Ueber die Voraussetz- 
ungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Mass- 
regel sind bis zum Erlass eines Reichsgesetzes die Vorschriften des preussi- 
schen Gesetzes vom 4. Juli 1851 (Pr. Ges.-Sammil. 1851 S. 451 ff.) mass- 
gebend 2). Den Landesherren steht die Befugnis, für ihre Gebiete den Kriegs- 
zustand zu verhängen, nicht zu; es wäre dies ein Eingriff in den kaiserlichen 
Oberbefehl und eine eigenmächtige Veränderung der Militärgerichtsverfassung 
1) Eine Ausnahme besteht für Württemberg. MilKonvent. Art. 5. "1 
2) Besondere Vorschriften für Elsass-Lothringen enthält das Reichs- 
gesetz v. 30. Mai 1892 (RGBl. S. 667) über die Vorbereitung des Kriegszustandes.
	        
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