360 Neunter Abschnitt: Die bewaffnete Macht des Reiches. $ 10
und ebenso eine zeitweise Veränderung des Strafgesetzbuchs und, sofern Kriegs-
gerichte eingesetzt werden, auch des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Straf-
prozessordnung. Hiezu fehlt ihnen die verfassungsmässige Ermächtigung !).
Für Bayern haben gemäss der Schlussbestimmung zum XI. Abschnitt
der RV. die angegebenen Rechtsvorschriften keine Geltung. Nur im Kriege
sind die bayerischen Truppen verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn
unbedingt Folge zu leisten; im Frieden stehen sie ausschliesslich un-
ter dem Befehl des Königs von Bayern. Der Oberbefehl des Kaisers tritt ein
mit Beginn der Mobilisierung. Jedoch ist Bayern verpflichtet, in bezug auf
Organisation, Formation, Ausbildung und Gebühren, sowie hinsichtlich der
Mobilmachung volle Uebereinstimmung mit den für das Reichsheer bestehen-
den Normen herzustellen, und dem Kaiser steht das Recht der Inspektion des
bayerischen Kontingents zu. In jedem einzelnen Falle der Vornahme einer
solchen Inspektion muss sich jedoch der Kaiser über die Modalitäten, sowie
über das Ergebnis mit dem Könige von Bayern ins Vernehmen setzen. Die
Anordnung der Kriegsbereitschaft (Mobilmachung) des bayerischen Kon-
tingents erfolgt zwar seitens des Königs von Bayern; derselbe ist aber ver-
pflichtet, diesen Befehl ‚auf Veranlassung des Bundesfeldherrn“ zu erteilen.
IV. DieKostenundLasten desgesamtenKriegswe-
sens des Reiches sind von allen Bundesstaaten und ihren Ange-
hörigengleichmässig zu tragen, so dass weder Bevorzugungen noch Prä-
gravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsätzlich zulässig sind. RV.
Art. 58. In diesem Satz sind zwei sehr verschiedene Dinge miteinander ver-
knüpft: die gleichmässige Verteilung der Lasten auf die Bundesstaaten und
die gleichmässige Verpflichtung der Angehörigen der Bundesstaaten zur Lei-
stung von Militärdiensten und Militärlasten. Das letztere hat lediglich die
Bedeutung eines verfassungsmässigen Programms für die Militärgesetz-
gebung; das erstere dagegen ist in der Reichsverfassung selbst durchgeführt
und hinsichtlich des gesamten Verfassungsbaues des Reiches von massgeben-
der Bedeutung. Dieser Grundsatz findet auch auf Bayern volle und un-
beschränkte Anwendung und nur die Art und Weise seiner Ausführung ist
für Bayern anders wie für die übrigen Staaten geregelt worden. Die von den
Einzelstaaten zu machenden Leistungen für die Armee sind von zweierlei
Art; sie bestehen teils in der Hergabe von dienstfähiger Mannschaft, teils in
der Hergabe von Geld.
1. Hinsichtlich der Stellung des Ersatzbedarfes bestimmt Art. 60 der
RV., dass die Mannschaften pro rata der Bevölkerung von den einzelnen
Bundesstaaten gestellt werden. Auf Grund der gesetzlich festgesetzten Prä-
senzstärke wird alljährlich der für das Heer und die Marine erforderliche
Rekrutenbedarf vom Kaiser bestimmt. Die Verteilung auf die Armeekorps-
bezirke erfolgt seit dem Reichsges. v. 26. Mai 1893 (RGBl. S. 185) durch die
Kriegsministerien der Staaten mit eigener Militärverwaltung nach dem Ver-
hältnis der in diesen Bezirken im laufenden Jahre vorhandenen dienst-
tauglichen Militärpflichtigen. Die seemännische Bevölkerung kommt
1) Vgl. Haldy, Das Recht zu Verhängung des Belagerungszustandes. Bonn 1902.