370 Neunter Abschnitt: Die bewaffnete Macht des Reiches. $ 41
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Der Aufruf des Landsturms erfolgt durch kaiserliche Verordnung; ; bei un-
mittelbarer Kriegsgefahr kann aber im Bedarfsfalle der Landsturm auch durch
die kommandierenden Generale und die Gouverneure und Kommandanten
von Festungen aufgeboten werden. Nachdem der Aufruf ergangen ist, finden
auf die von demselben betroffenen Landsturmpflichtigen die für die Landwehr
geltenden Vorschriften Anwendung!). An einer Friedensorganisation des
Landsturms fehlt es; die Kriegsorganisation wird vom Kaiser bestimmt. Der
Landsturm I. Aufgebots besteht aus den militärisch unausgebildeten Mann-
schaften, welche aus irgend einem Grunde zur Ableistung der aktiven Dienst-
pflicht und folglich auch zum Eintritt in die Landwehr nicht gelangt sind;
er ist grundsätzlich zur Ergänzung des Heeres und der Marine zu verwenden.
Zum Landsturm II. Aufgebots gehören die militärisch ausgebildeten Mann-
schaften nach ihrem Ausscheiden aus der Landwehr und die unausgebildeten
Landsturmspflichtigen vom 39. bis 45. Lebensjahre; er soll in der Regel in be-
sonderen Abteilungen formiert und zum Bewachungs- und Etappendienst
verwendet werden 2).
IV. Die Militärverwaltung?°). Es gibt keine Reichs-Armee-
Verwaltung, sondern nur 4 Kontingents-Verwaltungen, welche durch die Ge-
setze des Reiches und die Anordnungen des Kaisers gebunden sind. Siehe
oben 8. 356, 364. Innerhalb dieser Kontingentsverwaltung ist die Zentral-
behörde das „Kriegsministerium‘‘; demselben sind in Beziehung auf die Ver-
waltungsgeschäfte unterstellt die General-Kommandos der Armeekorps. Die
mit der wirtschaftlichen Armee-Verwaltung betrauten Behörden sind die
Militär-Intendanturen ®), für das Sanitätswesen besteht ein ‚Sanitätskorps‘“ 5);
das Kirchenwesen ist der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen. Von
besonderer Wichtigkeit und erheblichem Umfange sind endlich die zahl-
reichen wissenschaftlichen Institute, Bildungs- und Erziehungs-Anstalten
der Armee.
V. DieMilitärgerichtsverfassung. Eine einheitliche Rege-
lung der Strafgerichtsbarkeit und des Strafprozessverfahrens ist erst erfolgt
durch die Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898. Während das
Verfahrender bürgerlichen Strafprozessordnung, wenngleich mitsehr zahl-
reichen Abweichungen, nachgebildet ist, unterscheidet sich die Militärge-
richtsverfassung von der bürgerlichen Strafgerichtsverfassung durchaus.
1.. Die wesentlichste Abweichung, welche das charakteristische Merkmal
der Militärgerichte bildet und sie zu allen anderen Gerichten in einen Gegen-
satz stellt, ist die Unterscheidung des Gerichtsherrn und des erkennen-
den Gerichts. Der Gerichtsherr entspricht der mittelalterlichen
1) Daselbst $ 26.
2) Daselbst $ 24 Abs. 4.
3) Die näheren Angaben über die hierher gehörenden Behörden und Anstalten
und deren Organisation siehe im Staatsr. d. D. R. 1V 8, 98 ff.
4) Ihre Organisation und ihre amtlichen Geschäfte sind durch Anordnungen der
Kontingentsherren geregelt und zwar jetzt in allen vier Kontingenten über-
einstimmend.
’ >) Die Militärärzte sind Personen des Soldatenstandes (Sanitätsoffiziere); ihre
dienstlichen Verhältnisse sind daher durch Verordnung des Kaisers (bez. des Königs
von Bayern) geregelt.