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428 Zehnter Abschnitt: Das Finanzrecht. $ 46
4. Wenn die wirklichen Ausgaben des Etatsjahres die effektiven ge-
meinschaftlichen Einnahmen und den im Etatsges. festgestellten Betrag der
Matrikularbeiträge übersteigen, so ist der Fehlbetrag unter die Ausgaben
des nächsten Jahres einzusetzen; eine nachträgliche Erhöhung der Matriku-
larbeiträge für das abgelaufene Etatsjahr findet nicht statt !).
Durch diese Bestimmungen in Verbindung mit den vielen, 1906 u. 1909
neueingeführten Steuern wird die Finanzwirtschaft der Einzelstaaten vor
den aus den schwankenden Ergebnissen der Reichsfinanzwirtschaft sich er-
gebenden Gefahren einigermassen gesichert und die Ordnung in der Finanz-
wirtschaft des Reichs vielleicht dauernd hergestellt werden ; vorausgesetzt,
dass nicht in Zukunft, wie bisher, die Ausgaben des Reichs fortdauernd erhöht
werden, ohne dass Einnahmen zur Deckung derselben vorhanden oder neu
geschaffen werden.
$ 46. Das Budgetrecht.
I. Das Haushalts-Etats-Gesetz. 1. Die Bedeutungdesselben?).
Der Etat ist eine Rechnung, und zwar nicht über bereits geleistete Aus-
gaben und erhobene Einnahmen, sondern über künftig zu bewirkende Ein-
nahmen und Ausgaben; er ist ein sogen. Voranschlag und bildet die
Grundlage für die nach Ablauf der Wirtschaftsperiode zu legende Rechnung
über die wirklichen Einnahmen und Ausgaben. Weder die Aufstellung des
Etats für einen zukünftigen, noch die Kontrolle der Rechnungen über einen
vergangenen Zeitraum hat daher etwas zu schaffen mit der Gesetzgebung als
der staatlichen Regelung der Rechtsordnung, sondern gehört ledig-
lich zur Verwaltung und das Recht, welches die Volksvertretung in bei-
den Beziehungen verfassungsmässig hat, inden ihr der Etat zur Genehmigung,
die Staatsrechnungen zur Decharge vorgelegt werden müssen, charakteri-
siert sich als ein sehr wesentlicher Anteil an der Verwaltung und als eine aus-
gedehnte Kontrolle derselben; durch dieselbe wird die Lehre von der Teilung
1) Das R«ichsges. v. 3. Juni 1906 $ 3 (RGBl. S. 621) hatte ferner bestimmt, dass,
soweit die Matrikularbeiträge in einem Rechnungsjahr den Sollbetrag der Ueberwei-
sungen um mehr als 40 Pfennige auf den Kopf der Bevölkerung übersteigen, die Er-
hebung des Mehrbetrages für dieses Rechnungsjahr ausgesetzt wird, bis die wirkliche
Höhe des erforderlichen Betrages nach der Ist-Einnahme und Ist-Ausgabe des Rerch-
nungsjahres ermittelt wird. Das Finanzgesetz v. 15. Juli 1809 Art. I hat aber den $ 3
ausser Wirksamkeit gesetzt und hat die rückständigen Matrikularbeiträge aus den
Rechnungsjahren 1906—1908, sowie die Fehlbeträge der Jahre 1907 und 1908 der
eigenen Wirtschaft des Reichs auf eine Anleihe übernommen und ausserdem bestinmnt,
dass, wenn die ungedeckten Matrikularbeiträge für 1909 die Summe von 48 512 000 Mk.
übersteigen, der Reichskanzler ermächtigt wird, den Mehrbetrag im Wege des Kredits
aufzubringen. Die Finanzwirtschaft des Reiches war eben von der Art, dass die Einzel-
staaten tatsächlich ausser Stande waren, die von ihnen nach Art. 70 der RV., aufzu-
bringenden Beiträge zu leisten. Durch das Ges. v. 8. Febr. 1910 (RGBi. S. 451) wurden
die den Sollbetrag der Ueberweisungen um mehr als 80 Pfennige auf den Kopf der Be-
völkerung übersteigenden Matrikularbeiträge für 1909 auf Rechnung des Reichs über-
nommen. Die jährlichen Etatsgesetze enthalten in der Rcgel besondere Festsetzungen
über Matrikularbeiträge, die T’eberweisungen der Branntweinsteuer und die Verwen-
dung von l!eberschüssen desVorjahres. Vgl. das Reichshaushaltsgesetz für 1912 $4, RGBl.
S. 20.
2) Die sehr umfaigreiche Literatur über die juristische Bedeutung des Etats-
gesetzes ist. zusainniengestellt und kritisch besprochen in meinem Staatsr. des D. R.
IV S.481 fg. u. 532 ff. Nachzutragen ist Ad. Ott, Das Budgetrecht des d. Reichstags.
Tamm 1902. Deybeck in Grünhuts Zeitschrift Bd. 29 8. 369 ff.: Bd. 30 S. 241 ff.