Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

436 Zehnter Abschnitt: Das Finanzrecht. $ 46 
  
einer etatsmässigen Ausgabe oder die Leistung einer ausseretatsmässigen 
Ausgabe. Soweit die Einnahmen durch Gesetze normiert sind, deren Aus- 
führung von der Regierung nicht suspendiert werden darf, wie Zoll- und Steuer- 
gesetze und Gebührentarife, kann die Nichterhebung einer solchen Einnahme 
nicht vorkommen, wohl aber kann die Regierung eine Einnahme unerhoben 
lassen, zu deren Erhebung sie nicht gesetzlich verpflichtet, sodern nur er- 
mächtigt war, wie die Begebung von Anleihen. Ebenso ist die Erhebung 
einer nichtetatsmässigen Einnahme unverwehrt, wenn die Regierung einen 
gesetzlichen Titel dafür hat, wenn z. B. der Reichskasse durch Schenkungen, 
Legate, völkerrechtliche Verträge oder infolge gerichtlicher Urteile Einnah- 
men erwachsen. Eine ausdrückliche reichsgesetzliche Anerkennung, dass 
Einnahmen aus anderen als den im Etat aufgeführten Bezugsquellen zu- 
lässig sind, ist in dem Ges. v. 11. Nov. 1871 8 2 (RGBl. S. 403) enthalten, dem 
zufolge solche Einnahmen zur Wiederherstellung des Reichskriegsschatzes 
zu verwenden sind. Die Nichtleistung einer etatsmässigen Ausgabe kann als 
eine Abweichung von der in dem Etatsgesetz aufgestellten Verwaltungsnorm 
erscheinen, für welche die Regierung politisch verantwortlich ist; eine 
staatsrechtliche Verantwortlichkeit besteht aber nur in denjenigen Fällen, in 
denen die Regierung, abgesehen vom Etat, durch andere Gesetze zur Leistung 
gewisser Ausgaben (z. B. Pensionen, Zinsen der Staatsschuld usw.) recht- 
lich verpflichtet ist. 
Für ausseretatsmässige Ausgaben muss die Regierung 
die Bewilligung des Bundesrats und Reichstages nachsuchen, wenngleich dies 
in der Reichsverf. nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Nur ist die Lei- 
stung einer solchen Ausgabe nicht als ‚„Gesetzwidrigkeit‘‘ oder als ‚Ver- 
letzung‘‘ des Etatsgesetzes anzusehen, für welche die Regierung beim Reichs- 
tage um „Indemnität‘ bitten müsste. Daraus, dass eine Ausgabe in den Ver- 
waltungsplan nicht aufgenommen ist, folgt doch sicherlich nicht, dass sie ve r- 
boten sei. Der Unterschied zwischen den etatsmässigen und ausseretats- 
mässigen Ausgaben besteht darin, dass der Reichskanzler, welcher bei den 
etatsmässigen Ausgaben von der Verantwortlichkeit für ihre Notwendigkeit 
und Angemessenheit frei ist, bei den ausseretatsmässigen Ausgaben diese 
Verantwortlichkeit bis zur Bewilligung durch den Reichstag trägt; die Befug- 
nisse des Reichstags aber sind materiell dieselben bei etatsmässigen und ausser- 
etatsmässigen Ausgaben. Die Bewilligung ausseretatsmässiger Ausgaben er- 
scheint sachlich stets als eine Ergänzung und Berichtigung des Haushalts- 
Etats; wenn es möglich ist, die Genehmigung des Reichstages noch einzuho- 
len, ehe die Ausgaben wirklich geleistet oder festgestellt sind, so erscheint die 
korrekteste Form die, durch einen Nachtragsetat, also in Gesetzesform, die 
Bewilligung zu konstatieren. Ist jedoch die Ausgabe tatsächlich geleistet, so 
widerspricht es der Logik, in Form eines V o r anschlages die Bewilligung aus- 
zusprechen, und es wird die Genehmigung in Form von Resolutionen des 
Bundesrates und Reichstages erteilt !). 
1) Bisweilen werden aber Ausgaben, welche bereits geleistet sind, durch einen Nach- 
tragsetat genehmigt, insbesondere wenn zu ihrer Deckung die Aufnahme einer Anleihe
	        
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