$ 406 Das Budgetrecht. III. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz. 439
Ansätze des Etats hält, so ergibt sich als logisch notwendige Schlussfolgerung,
dass beim Mangel eines Etatsgesetzes diese Wirkungnicht eintritt;
also nicht, dass die Regierung die Verwaltungstätigkeit einstellen müsse, son-
dern dass sie dieselbe aufeigene Verantwortlichkeit fortführt.
Hierbei handelt es sich um die Verantwortlichkeit im Sinne des konstitutio-
nellen Staatsrechts d. h. um die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegen
den Bundesrat und den Reichstag. Die etwa begründete zivilrechtliche oder
strafrechtliche Verantwortlichkeit von Beamten hat ihre besonderen Voraus-
setzungen und steht mit dem Etatsgesetz in keinem Zusammenhange. Das-
selbe gilt von der auf der Dienstpflicht beruhenden Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers gegen den Kaiser. Den Massstab für die Beurteilung der
Verantwortlichkeit beim Fehlen eines Etatsgesetzes gibt der Satz, dass soweit
die Regierungnur durch den Etat zur Erhebung von Einnahmen und
zur Leistung von Ausgaben ermächtigt ist, ihr diese Befugnis beim Mangel
eines ordnungsmäßig zustande gekommenen Etats fehlt, dass dagegen die-
jenigen Befugnisse, welche die Regierung auf Grunddauerndwirk-
samer Gesetze hat, ihr durch das blosse Nichtzustandekommen des
Etats nicht entzogen werden, da es einer alljährlichen Prolongation oder Be-
stätigung dieser Befugnisse nicht bedarf. Hieraus folgt:
1. Die Ausgaben zerfallen in Beziehung auf das Bewilligungsrecht
des Bundesrats und Reichstags in solche, zu deren Leistung die Regierung
gesetzlich verpflichtet ist, und in solche, zu deren Leistung für die Regierung
keine Rechtspflicht besteht. Die ersteren, welche im staatsrechtlichen Sinne
als notwendige zu bezeichnen sind, müssen von der Regierung geleistet werden,
obgleich ein Etatsgesetz nicht verfassungsmässig zustande gekommen ist.
Man kann den Satz auch in der Art formulieren: Ausgaben, welche Bundes-
rat und Reichstag bei der Feststellung des Etats aus rechtlichen Gründen
nicht verweigern dürfen, sind von der Regierung auch in dem Falle, dass die
gesetzliche Feststellung des Reichshaushalts-Etats unterbleibt, zu leisten }).
Sind die Ausgaben auch der Höhe nach bestimmt, so hat die Aufnahme der-
selben in das Etatsgesetz gar keine selbständige Bedeutung für die Berechti-
gung der Regierung, sie zu leisten; sie müssen nur deshalb in den Etat auf-
genommen werden, weil derselbe ein vollständiger Wirtschaftsplan
ist, der alle Einnahmen und Ausgaben umfasst. Ist jedoch die Ausgabe
nur nach ihrem Rechtsgrunde notwendig, aber nicht der Höhe
n&ach festbestimmt, so hat die Regierung bei der Rechnungslegung den
Nachweis zu führen, dass die Ausgabe in der Höhe, in welcher sie geleistet wor-
den ist, erforderlich und angemessen war, so dass allerdings ihre Lage erheb-
lich ungünstiger ist, als wenn sie auf Grund eines Etatsgesetzes verwaltet
hat. Das Etatsgesetz des vorhergegangenen Jahres hat formell keine
Geltung, tatsächlich werden aber meistens die in ihm enthaltenen, durch
Uebereinstimmung der gesetzgebenden Körperschaften festgesetzten Beträge
1) Ausdrücklich anerkannt ist dies hinsichtlich der aus der Begebung von An-
leihen und Schatzscheinen hervorgehenden Verpflichtungen iın Reichsges. v. 27. Januar
1875 $4. (In allen Anleihegesetzen wiederholt.) Reichsschuldenordnung$®.