8 9 Die Reichsangehörigen. 47
leben. Einen Ausdruck gewinnt dieses Prinzip in dem Rechtssatz, dass eine
Landesverweisung der Staatsangehörigen unstatthaft ist !), und
dass ein Reichsangehöriger in keinem Falle einem ausländischen Staat aus-
geliefert werden darf 2). Das Recht, dem Staat tatsächlich angehören zu
dürfen, beschränkt sich aber nicht auf das blosse Existieren in dem Gebiet,
in der Luft des Heimatsstaates, sondern es enthält seinen bedeutungsvollen
Inhalt in dem Anspruch, dass die Fürsorge des Staates für Aufrechterhaltung
der Rechtsordnung und zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt auch jedem
zuteil werde, d. h. dass die bestehenden Gesetze, welche für ihn Rechte
begründen oder seinem Interesse förderlich sind, auch wirklich zu seinen
Gunsten angewendet werden. Im einzelnen lässt sich dieses Recht ebenso-
wenig spezialisieren, wie die Gehorsamspflicht; beide empfangen gleichmässig
ihren Inhalt durch die Tätigkeit des Staates selbst.
IV. Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat
mit der Wirkung, dass der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem
andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln ist. RV. Art. 3°). Hierin
liegt keine positive Bestimmung über die Rechte der Reichsangehörigen,
sondern nur der negative Satz, dass kein Deutscher in einem zum Reich
gehörenden Staate in rechtlicher Beziehung ungünstigeren Regeln unter-
worfen werden darf, als der Angehörige des eigenen Staates. Das im Art. 3
der RV. aufgestellte Prinzip hatte bei Gründung des Norddeutschen Bundes
eine nicht unerhebliche praktische Bedeutung. Durch diesen Artikel wurden
alle in den einzelnen Staaten bestehenden Rechtsregeln, wonach Fremde un-
günstiger als die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln sind, in An-
sehung der Angehörigen derübrigen Bundesstaaten
aufgehoben, und es wurde zugleich die Autonomie der Einzelstaaten in der
Richtung beschränkt, dass es ihnen untersagt wurde, rechtliche Ungleichheiten
zwischen den eigenen Angehörigen und den Angehörigen der übrigen deutschen
Staaten einzuführen. Dagegen hat Art. 3 die Verschiedenheit der einzelnen
Partikularrechte nicht hinweggeschafft und durch ein gleiches, einheitliches
Recht ersetzt; die Fortdauer der Partikularrechte war vielmehr die Voraus-
setzung für die praktische Bedeutung des Art. 3. Derselbe sollte für die Zeit,
binnen welcher die Verschiedenheit der Partikularrechte noch währte, wenig-
stens den Uebelstand beseitigen, dass in einem und demselben Staate Ange-
Heinrichs Deutsche Niederlassungsverträge u. Tebernahmeabkonmen. Berl. 1908.
Da diese Staatsverträge aber Reichsgesetze geworden sind, so haben sie nicht nur zwi-
schenstaatliche, sondern auch innerstaatliche Geltung; sie sind objektives Reichsrecht.
Da die Duldung der Fremden im Staatsgebiet, auch wenn kein Staatsvertrag darüber
« besteht, eine auf der comitas nationum beruhende völkerrechtl. Pflicht ist, so muss die
Ausweisung fremder Staatsangehöriger durch die Landesbehörden der Aufsicht des
Reichs unterliegen. Vgl. Bornhak in der Festgabe der Berliner jurist. Fakultät
f. H. Dernburg, 1900 und meinen Aufsatz in der DJZ. 1906 S. 613.
1) Freizügigkeits-Gesetz v. 1. Nov. 1867. $ 1. Das Strafgesetzb. kennt die Strafe
der Landesverweisung nur gegen Ausländer.
2) Strafgesetzb. $ 9. Es ist dies auch in sämtlichen Staatsverträgen über die Aus-
lieferung von Verbrechern anerkannt worden. Siehe Staatsr. des D. R. I S. 155.
3) Vgl. Seydelin Hirths Annalen 1876 S. 176 ff. u. 1877 8. 545ff. Bocks-
hammer, Das Indigenat des Art. 3 der DRV. Tübingen 1896. Dambitsch,
Kommentar S. 70 ff.