Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

50 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen d. Reiches. (Land u. Volk.) 5$9 
  
Verpflegung an den verpflichteten Armenverband ausgewiesen werden !). 
Ferner kann die Ablieferung eines Staatsangehörigen an die Behörden eines 
anderen deutschen Staates zum Zweck der Verfolgung oder Bestrafung wegen 
einer im Gebiete des requirierenden Bundesstaates verübten strafbaren Hand- 
lung verlangt werden 2). Endlich konnte reichsangehörigen Jesuiten von der 
Landespolizeibehörde der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten 
versagt werden, ohne dass die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten in Be- 
tracht kamen °). Diese Bestimmung ist aber durch das RG. vom 8. März 1904 
(RGBl. S. 139) aufgehoben worden. 
4. Die Teilnahme an dem politischen Sonderleben 
der Einzelstaaten ist die deutlichste Aeusserung der Fortdauer der Staats- 
angehörigkeit. Es gilt dies namentlich für das Wahlrecht; für die Landtage 
der Staaten können, falls nicht das partikuläre Staatsrecht eine Ausnahme 
zulässt, nur Angehörige des Staates wählen oder an ihnen als Mitglieder teil- 
nehmen. An keinem Punkte kann man Reichsangehörigkeit und Staatsange- 
hörigkeit schärfer auseinanderhalten als durch den Gegensatz zwischen Reichs- 
tagswahl und Landtagswahl; hier allein sind beide wirklich getrennt. Der 
Autonomie der Einzelstaaten ist es auch überlassen, das Mass der politischen 
Rechte und die Voraussetzungen ihrer Ausübung zu bestimmen. Nur in einer 
Hinsicht hat das Reich hier den Einzelstasten eine Schranke aufgerichtet 
durch das Reichsgesetz vom 3. Juli 1869: ‚Alle noch bestehenden, aus der 
Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen 
der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. 
Insbesondere soll die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landes- 
vertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen Bekenntnis 
unabhängig sein.‘ Das Verfassungsrecht des Reichs wird durch dieses Gesetz 
nicht berührt; in der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes und Deut- 
schen Reichs hat es Beschränkungen der reichsbürgerlichen Rechte wegen 
irgend eines religiösen Bekenntnisses niemals gegeben; vielmehr ist durch 
dieses Gesetz ein gemeinrechtlicher Grundsatz des Landes - Staatsrechts 
reichsgesetzlich sanktioniert worden, der den Einzelstaaten verbietet, die 
Glaubensfreiheit anzutasten ®). 
VI. Der Erwerb und Verlust der Staatsangehörig- 
1) Freizügigkeitsges. $ 5. Unterstützungswohnsitz-Gesetz v. 30. Mai 1908 $$ 31. 
a5 ff. Dagegen können bayerische Staatsangehörige, welche in einem deutschen Staat 
den Unterstützungswohnsitz erworben haben, wegen dauernder Hilfsbedürftigkeit aus 
dem Geltungsgebiet des Unterstützungswohnsitzgebietes nicht ausgewiesen werden. 
Dies würde mit dem im ganzen Reichsgebiet geltenden Freizügigkeitsgesetz im Wider- 
spruch stehen; es kommen vielmehr der Gothaer Vertrag v. 15. Juli 1851 und die Eise- 
nacher Uebereinkunft v. 11. Juli 1853 zur Anwendung. Vgl. H. Otto in Hirths Anna- 
len 1901 S. 355 fg. 
2) Rechtshilfe-Gesetz v. 21. Juni 1869 $ 23. Hinsichtlich der von den ordent- 
lichen Gerichten erkannten Freiheitsstrafen besteht jedoch der Grundsatz, dass, wenn 
sie die Dauer von 6 Wochen nicht übersteigen, ihre Vollstreckung demjenigen Bundes- 
staate obliegt, in dessen Gebiet der Verurteilte sich befindet. Gerichtsverfasungs- 
Gesetz $ 163. 
3) Reichsgesetz v. 4. Juli 1872 $ 2. 
4) Zu erwähnen ist hier auch die Bestimmung des Militärgesetzes v. 2. Mai 1874, 
dass die Berechtigung zum Wählen zu den Landes vertretungen für die zum aktiven 
Heere gehörenden Militärpersonen, mit Ausnahme der Militärbeamten, ruht.
	        
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