$ 10 Der Kaiser. 57
der verbündeten Regierungen“. Die Stellung des Kaisers ist andererseits
nicht ähnlich der Stellung des Präsidenten eines republikanischen Staates;
der Kaiser wird nicht von dem Souverän des Reiches ernannt, er ist nicht
absetzbar, er ist nicht verantwortlich; er ist niemandes Untertan; er hat die
Präsidialrechte kraft eigenen Rechts. Dar Kaiser ist zunächst Mitglied
des Reiches und sodann Organ des Reiches. Er kann nicht Beamter
sein, wie der Präsident einer Republik, weil er Mitsouverän ist, und er kann
nicht Monarch sein, weil er nicht alleiniger Souverän isö. Während der Mo-
narch im konstitutionellen Staate alle in der Staatsgewalt enthaltenen Rechte
und Befugnisse hat, welche nicht durch die Verfassung oder die Landesgesetze
ihm entzogen sind, hat der Kaiser als Organ des Reichs nur diejenigen Rechte
und Befugnisse, welche ihm durch die Reichsverfassung oder die Reichs-
gesetze übertragen sind. Die Stellung des Kaisers im Reich ist durch die
kaiserlichen Rechte allein nicht vollständig gegeben; sie finden ihre not-
wendige Ergänzung in den Mitgliedschaftsrechten Preussens. Das Recht auf
das Bundespräsidium ist ein Sonderrecht des Königs von Preussen, nur dass
es sich nicht auf die Kompetenz des Reiches gegenüber den Einzelstaaten
bezieht, sondern auf den Anteil an der Willenstätigkeit des Reiches selbst.
Nur dadurch, dass man die Präsidialbefugnisse in untrennbaren Zusammer:--
hang bringt mit den, der Krone Preussens zustehenden Mitgliedschaftsrechten,
ja» dass man das Recht auf die Ausübung dieser Präsidialbefugnisse als ein
zu diesen Mitgliedschaftsrechten accessorisches Vorrecht Preussens auffasst,
gewinnt man den staatsrechtlichen Begriff des Kaisers. Das Recht a uf die
kaiserliche Stellung ist ein Recht Preussens; dagegen sind die Rechte des
Kaisers nicht Rechte Preussens, sondern des Reiches; der Kaiser übt als ein
Organ des Reiches die dem letztern zustehenden Souveränetätsrechte aus,
soweit die Verfassung und die Gesetze des Reiches ihn dazu berufen.
1I. Das Kaisertum ist untrennbar mit dem Preussischen Königtum ver-
bunden; aus diesem Grunde hat das Reichsrecht gar keine selbständigen Vor-
schriften über den Erwerb der Kaiserwürde. Die gesamte Ordnung des Rechts
auf die Krone ist dem Preussischen Staatsrecht überlassen; das Reich hat
sich auf die Sanktion des Rechtssatzes beschränkt, dass die Kaiserwürde ipso
jure der Preussischen Königswürde folgt. Hieraus ergibt sich, dass wenn
nach den Grundsätzen des Preussischen Staatsrechts der König durch einen
'Regenten vertreten werden muss, der Vertreter auch die Präsidialstellung im
Reiche einzunehmen und das der Krone Preussens zustehende Präsidium des
Bundes auszuüben hat. Damit ist von selbst die Folge gegeben, dass über
die Einrichtung einer Regentschaft einzig und allein die Bestimmungen der
Preussischen Verfassung (Art. 56—58) zur Anwendung kommen können !).
Die Einrichtung einer Regentschaft in Preussen ist für das Reich ganz ebenso
wie ein T'hronwechsel in Preussen, der durch Todesfall herbeigeführt wird, ein
tatsächliches Ereignis, dessen Folgen es hinnehmen muss ?). Was die mate-
1) Vgl. Grassmann im Arch. f. öffentl. R. Bd. 6 S. 529 ff. (1891). Seydel,
Kommentar 8. 155 fg. Ism. Freund, Die Regentschaft nach preuss Recht. Breslau
1903. (Brie, Abhandl. aus dem Staats- u. Verw.Recht Heft 6.)
2) Diese Grundsätze haben leider bereits praktische Anwendung gefunden. Vgl.