38 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. $ 10
rielle Normierung des Preussischen Thronfolgerechts anlangt, so steht dieselbe
im Einklang mit den gemeinrechtlichen Grundsätzen, welche in allen Deutschen
Fürstenhäusern zur Anwendung kommen. ‚Die Krone ist den Königl. Haus-
gesetzen gemäss !) erblich in dem Mannsstamme des Königl. Hauses nach dem
Rechte der Erstgeburt und nach der agnatischen Linealfolge‘‘. Preuss. VUrk.
Art. 53. Ueber den Regierungsantritt des Kaisers enthält die Reichsverfas-
sung keine Vorschrift; derselbe ist demnach an keinerlei Formalität recht-
lich gebunden.
III. Der Titel ‚Deutscher Kaiser‘ bezieht sich nicht, wie die sonst
üblichen, aus früherer Zeit herstammenden Titel der Landesherren auf ein Ge-
biet, sondern lediglich auf die staatsrechtliche Stellung seines Trägers; man
kann ihn im Gegensatz zu den ein Besitzrecht andeutenden Titulaturen als
einen Amtstitel bezeichnen ?). Die Führung desselben ist daher streng ge-
nommen beschränkt auf die Angelegenheiten des Reiches, auf die Ausübung
der Präsidialbefugnisse ?); indes wird dies nicht durchweg beobachtet. Die
Natur des Kaiserl. Titels zeigt sich aber darin, dass neben demselben der
Titel des Königs von Preussen nicht ausser Anwendung gekommen ist, wie
dies sonst regelmässig der Fall ist, wenn ein höherer Titel zu einem gleich-
artigen, niedrigeren hinzutritt. Der Titel ‚Deutscher Kaiser‘ deckt den Titel
„König von Preussen‘ nicht; er ist nicht der höhere; er ist ihm überhaupt
nicht homogen. Deshalb wird in offiziellen Aktenstücken dem Titel ‚Deut-
scher Kaiser‘‘ der Titel ‚König von Preussen‘ hinzugefügt, selbst wenn es
sich um Reichs- Angelegenheiten handelt, während andererseits in Angelegen-
heiten des Preussischen Staates der Titel ‚König von Preussen‘ selbständig
geführt wird. Die Erblichkeit der Kaiserwürde findet einen Ausdruck teils in
der Formel ‚von Gottes Gnaden‘ ?), teils darin, dass der Kronprinz von
Preussen den Titel ‚Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preussen‘ und
das Prädikat ‚Kaiserliche und Königliche Hoheit‘ führt 5). Mit dem Kaiser-
lichen Titel ist die Kaiserkrone, die Führung des Kaiserl. Wappens und der
Kaiserlichen Standarte verbunden ®). Die vom Kaiser kraft seiner Präsidial-
befugnisse ernannten Behörden und Beamten sind als kaiserliche zu be-
zeichnen; auch können die in der kaiserlichen Hofhaltung angestellten Privat-
beamten und Diener, Hoflieferanten usw. das Prädikat ‚‚kaiserlich‘“ führen.
den Allerh. Erl. v. 4. Juni 1878 (RGBl. S. 101) über die Einsetzung, und den Allerh.
Erl. v. 5. Dezember 1878 (RGBl. 8. 363) über die Beendigung einer Regierungs-Stell-
vertretung.
Fr) 1) Dieselben sind herausgegeben von Hermann Schulze, Die Hausgesetze
der regierenden Deutschen Fürstenhäuser Bd. III. (Jena 1883) S. 535 ff.
2) Kaiser Wilhelm wünschte den Titel „Kaiser von Deutschland‘, Bismarck
machte dagegen geltend, dass dieser Titel ‚einen landesherrlichen Anspruch auf die
nichtpreussischen Gebiete involviere, den die Fürsten zu bewilligen nicht geneigt wä-
ren.“ v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Bd. 2 S. 119 fg. W.Busch,
Die Kämpfe um die Reichsverf. u. Kaisertum 8. 115 ff. (Tüb. 1906).
3) Proklamation von Versailles v. 18. Januar 1871: „Demgemäss werden Wir und
Unsere Nachfolger an der Krone Preussen fortan den kaiserl. Titelin allenUnseren
Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches
führen.“
4) Vgl. Alfr. Daniel, Die Kurialformel ‚Von Gottes Gnaden‘“. Berl. 1902.
5) Allerh. Erlass v. 18. Januar 1871.
6) Diese Insignien sind festgestellt worden durch Allerh. Erl. v. 3. August 1871
RGBI. 8. 318.