Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

66 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. $ 11 
  
kann durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt werden, d. h. der Erlass der 
Verwaltungsvorschrift dem Kaiser, dem Reichskanzler oder einer andern 
Reichsbehörde, oder den Einzelstaaten übertragen werden. Falls zum Erlass 
von Verwaltungsvorschriften der Weg der Reichsgesetzgebung angeordnet 
wird, ergibt sich die Zuständigkeit des Bundesrats aus dem Vorstehenden. 
Der Bundesrat beschliesst ferner über Mängel, welche bei der Ausführung der 
Reichsgesetze oder der allgemeinen Verwaltungsvorschriften hervortreten 
(Art. 7 Ziff. 3) }). 
Während der Kaiser nach Art. 17 der RV. die Ausführung der Reichs- 
gesetze zu überwachen hat, steht dem Bundesrat die materielle Entscheidung 
über die richtige Auslegung oder Handhabung der Reichsgesetze zu und er 
beschliesst über die Einrichtungen, welche erforderlich sind zur Abhilfe der 
bei Ausführung der Reichsgesetze hervorgetretenen Mängel. Auch bei der Er- 
nennung gewisser Reichsbeamten, die nach Art. 18 der RV. in allen Fällen 
vom Kaiser erfolgt, hat der Bundesrat ein Wahlrecht oder Vorschlagsrecht 2); 
in anderen Fällen sind die Beamten vom Kaiser ‚nach Vernehmung‘“ des 
Bundesrates oder eines Ausschusses desselben anzustellen, so die Reichs- 
kontrollbeamten der Zoll- und Steuerverwaltung und die Konsuln (RV. Art. 
36, 56). 
Ausserdem sind bei den einzelnen Verwaltungszweigen durch spezielle 
Bestimmungen der Reichsgesetze dem Bundesrat oder einem Ausschuss des- 
selben gewisse Funktionen beigelegt, welche nur im Zusammenhange mit den 
übrigen für diese Verwaltungen bestehenden Rechtsvorschriften erörtert 
werden können. Besonders hervorragend ist diese Tätigkeit des Bundesrates 
auf dem Gebiete des Finanzwesens, was auf der sozietätsartigen Gestaltung 
der Finanzwirtschaft des Reiches beruht ?), und dem Gewerbewesen. 
Auch ausserhalb der verfassungsmässigen Kompetenz des Bundesrates 
kann er dazu dienen, dass die deutschen Regierungen sich über gleichmässige 
Verwaltungseinrichtungen oder übereinstimmende Handhabung von Dingen, 
welche der freien Verwaltung der Einzelstaaten unterliegen, verständigen 
und darüber ‚Grundsätze‘ vereinbaren ®). Hier ist aber die Majorität der 
Stimmen nicht befugt, die Minderheit zu zwingen; solche Vereinbarungen 
sonderer reichsgesetzlicher Ermächtigung, Rechts verordnungen zu beschliessen und 
auch Verwaltungsvorschriften nicht praeter legem. Vgl. v. Jagemann S$. 94. 
1) Siehe darüber mein Staatsr. des D. Reichs (5. Aufl.) I 8. 258 ff. 
2) Ein Vorschlagsrecht hat der Bundesrat hinsichtlich der Mitglieder des 
Rechnungshofes, des Reichsgerichts, sowie des Oberreichsanwalts und der Reichsanwälte, 
des Bundesamts f. das Heimatswesen, der Disziplinarkammern und des Disziplinar- 
hofes, des Reichsbank-Direktoriums, des Präsidenten des Patentamts, des Präsidenten 
und der ständigen Mitglieder des Reichsversicherungsamtes, der Senatspräsidenten 
und Räte des Reichsmilitärgerichts und des Vorsitzenden und der ständigen Mitglieder 
des Aufsichtsamts für private Versicherungsunternehmungen, der Mitglieder des Ver- 
sicherungsbeirats und der beamteten Mitglieder des Direktoriums der Reichsversiche- 
rungsanstalt für Angestellte. Ein Wahlrecht hat er hinsichtlich der nichtständigen 
Mitglieder des Aufsichtsamts, der Mitglieder des Reichsgesundheitsamts, des Börsen- 
ausschusses, des Beirats für das Auswanderungswesen und von 7 Mitgliedern des Beirats 
für Arbeiterstatistik. 
3) Nähere Angaben siehe in meinem Staatsr. d. D. Reichs I S. 264 fg. 
4) Sehe meine Ausführungen im Arch. f. öffentl. R. Bd. 18 S. 316 fg. 
v. Jagemann®S.36. Hänel, Staatsr. IS. 317.
	        
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