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4. Beigewisen Regierungshandlungen, welchevom Kai-
ser zu vollziehen sind, bedarf derselbe der Zustimmung des Bundes-
rates. Ausser den bereits erwähnten Ernennungen von Reichsbeamten für
gewisse Stellen sind es namentlich folgende Fälle: zur Erklärung des Krieges,
es sei denn, dass ein Angriff auf das Bundesgebiet oder.dessen Küsten erfolgt
(Art. 11 Abs. 1); zum Abschluss von Verträgen mit fremden Staaten (Art. 11
Abs. 2); zur Vollstreckung der Exekution gegen Bundesglieder (Art. 19) und
zur Auflösung des Reichstages während der Legislaturperiode (Art. 24). Auch
ist in zahlreichen Reichsgesetzen der Erlass von Ausführungs-Verordnungen
dem Kaiser „im Einvernehmen“ oder ‚mit Zustimmung‘ des Bundesrates
übertragen worden.
IV. Der Bundesrat ist nach der RV. keine ständige Versammlung; die
Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schliessung
steht dem Kaiser zu (Art. 12). Eine Berufung muss erfolgen, wenn der
Reichstag einberufen wird (Art. 13) und wenn ein Drittel der Stimmenzahl
des Bundesrates (jetzt 21 Stimmen) die Berufung verlangt (Art. 14). Diejenigen
Sitzungen, welche mit den ordentlichen Sitzungen des Reichstages zusammen-
fallen, heissen ordentliche, die anderen ausserordentliche; die Unterscheidung
ist aber staatsrechtlich ohne Bedeutung: Zwischen den einzelnen Sitzungen
besteht das Prinzip der Kontinuität hinsichtlich der Erledigung der Geschäfte.
Tatsächlich ist aber der Bundesrat schon seit langer Zeit in permanenter Tätig-
keit, so dass die Art. 12—14 der RV. ihre praktische Bedeutung verloren haben.
Der Vorsitz im Bundesrate und die Leitung der Geschäfte des Bundes-
rates steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist (Art. 15
Abs. 1). Daraus folgt, dass der Reichskanzler immer zugleich preussischer
Bevollmächtigter zum Bundesrat sein muss, da der Kaiser als solcher keine
Bundesrats-Mitglieder ernennen kann, sondern nur der König von Preussen }).
Vermöge schriftlicher Substitution kann sich der Reichskanzler aber durch
jedes andere Mitglied des Bundesrates vertreten lassen (Art. 15 Abs. 2).
Abhandlungen Neue Folge (1902) S. 158—261 gesammelt sind. Ferner Kekule v.
Stradonitz im Arch. f. öff. R. Bd. 14 S. 7ff. Perels, Streitigkeiten deutscher
Bundesstaaten 1900 (Berliner Dissert... Cybichowski Art. 76 der RV. Breslau
1902 (Strassburger Dissert... Krick, Der Bundesrat als Schiedsrichter. Leipzig
1903 (Rostocker rechtsw. Studien I, 2. v. Jagemann, Reichsverf. S. 213 ff.
Hans Luther, Thronstreitigkeiten und Bundesrat. Berl. 1904. Sievert, Zu-
ständigkeit des BR. für Erledigung von Verfassungs- und Thronfolgestreitigkeiten.
Berlin 1906.
1) Dass der Reichskanzler zugleich ‚Mitglied‘ des Bundesrates sein muss, ist die
übereinstimmende Ansicht sämtlicher Schriftsteller, mit alleiniger Ausnahme von
Henselin Hirths Annalen 1882 S. 10fg. (HänelS. 26 zitiert für die entgegen-
gesetzte Ansicht auch Thudichum, Verfassungsr. S. 130, jedoch mit Unrecht.)
Henselmeint, der Reichskanzler brauche nur Vorsitzender, nicht auch zugleich
Mitglied zu sein; denselben Gedanken äusserte einmal Fürst Bismarck irn Reichs-
tage am 13. Mai 1877 (Stenogr. Berichte 8. 127). Diese Ansicht steht aber in offen-
kundigem Widerspruch mit Art. 15 Abs. 2 der RV., wonach sich der Reichskanzler
„durch jedes andere Mitglied des Bundesrates‘‘ vertreten lassen kann. Eine andere
Begründung der richtigen Ansicht versucht Hänele. a. O. zu geben, die aber von
Hensel S. 11 treffend widerlegt wird. Uebrigens lehnt Hensel S. 15 alle Konse-
quenzen, die sich aus seiner Ansicht ergeben würden, ausdrücklich ab und beraubt sie
dadurch jeder praktischen Bedeutung. Vgl. auch Meyer $124 Note 7 und Seydel,
Kommentar S. 169.