Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

72 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. & 123 
  
Der Ausschuss für de auswärtigen Angelegenheiten hat 
keine Beschlüsse des Bundesrates vorzubereiten und keine Berichte zu er- 
statten, sondern er dient nur dazu, um Mitteilungen über die auswärtigen 
Beziehungen des Reiches zu empfangen und die Ansichten der Bundes- 
regierungen über diese Mitteilungen auszutauschen. Daraus erklärt es sich, 
dass in diesem Ausschusse Preussen nicht vertreten ist, da eine Informierung 
Preussens über den Stand der auswärtigen Angelegenheiten, deren oberste 
Leitung dem Kaiser zusteht, widersinnig wäre. Der Ausschuss besteht aus 
den Bevollmächtigten Bayerns, Sachsens, Württembergs und zweier vom 
Bundesrat alljährlich zu wählenden Staaten; den Vorsitz führt Bayern). 
$ 12. Der Reichstag ?). I. Der Reichstag unterscheidet sich nach sei- 
nem Begriff und Wesen und nach seiner Stellung im Verfassungsbau des 
Reiches nicht von anderen Volksvertretungen; die Bestimmungen der RV. 
über den Reichstag sind aus der Preuss. Verf.-Urk. vom 31. Januar 1850, 
zum Teil wörtlich, entnommen. Der Reichstag ist eine Vertretung des ge- 
sam ten Deutschen Volkes, keine Versammlung von Delegierten der Land- 
tage der Einzelstaaten; Mitgliedschaftsrechte der einzelnen Bundesglieder 
kommen in keiner Beziehung mittelst des Reichstages zur Ausübung ?). Dem- 
gemäss ist auch Elsass-Lothringen im Reichstage vertreten; denn die Be- 
völkerung von Elsass-Lothringen ist ein Teil des deutschen Volkes. Auch sind 
zur Teilnahme an der Wahl in den einzelnen Wahlbezirken des Reichs nicht 
bloss die Staatsangehörigen, sondern alle dort ansässigen Reichsangehörigen 
berechtigt *). 
Die staatsrechtlichen Befugnisse des Reichstages 
bestehen nicht darin, dass ein Teil der dem Reiche zustehenden Staatsgewalt 
von ihm ausgeübt wird, dass er an den Herrschaftsrechten des Reiches einen 
Anteil hat, dass er ein Mitträger der Souveränetät ist; sondern darin, dass 
Kaiser und Bundesrat bei der gesamten Regierung des Reiches teils an die 
Zustimmung, teils an die Kontrolle des Reichstages gebunden sind 5). Aus 
diesem Grunde lässt sich die Zuständigkeit des Reichstages nicht in eine 
Anzahl einzelner, bestimmter Befugnisse auflösen; seine Tätigkeit durch- 
dringt das Leben des Reiches in allen Beziehungen und nach allen Richtungen. 
Die Frage nach der Kompetenz des Reichstages ist vielmehr zurückzuführen 
auf die Untersuchung, welche Formen für die Willenstätigkeit des Reiehes 
vorgeschrieben sind, um dem Reichstage die Mitwirkung und Teilnahme an 
dieser Willenstätigkeit zu sichern. Soweit die Fassung eines rechtlich verbind- 
  
1) Die Errichtung dieses Ausschusses war eine Konzession an Bayern. Siehe W. 
Busch, Die Kämpfe um die Reichsverf. 8. 91 fg. 
2) Die beste Erörterung ist von Seydelin Hirths Annalen 1880 S. 352 ff. und 
Kommentar 8. 190 ff., sehr ausführlich ferner Dambitsch, Komment. S. 394—480. 
3) Eine hiermit im Widerspruch befindliche, dem Art. 7 Abs. 4 der RV. analoge 
Bestimmung, welche bei der Gründung des Deutschen Reiches dem Art. 28 der RV. 
hinzugefügt worden war, ist durch RG. v. 24. Febr. 1873 (RGBl. S. 45) aufgehoben 
worden. 
4) Wahlges. v. 31. Mai 1869. $ 1 (RGBl. 8. 145). 
5) Seydeloa. a. O. 8. 352: „Der Reichstag besitzt ebensowenig wie ähnliche 
Versammlungen in den Bundesstaaten eine Herrscher- oder Amtsgewalt über die Reichs-
	        
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