Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 12 Der Reichstag. 73 
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lichen Entschlusses, die Ausübung eines staatlichen Hoheitsrechtes, an eine 
Form gebunden ist, welche die Zustimmung und Mitwirkung des Reichstages 
in sich schliesst, soweit ist der Reichstag an diesem Willensakt des Trägers 
der Reichsgewalt mitbeteiligt !). Diese Formen sind nach der zutreffenden 
Gruppierung von Seydel (a. a. O. S. 357) die Mitwirkung, die Genehmi- 
gung, die Kenntnisnahme und die Ueberweisung an die Regierung. 
1.Die Mitwirkung des Reichstages ist erforderlich, wenn ein staat- 
licher Willensakt des Reiches rechtsgültig nicht zustande kommen kann, ohne 
dass der Reichstag seine Zustimmung erklärt hat. Ein solcher Willensakt des 
Reiches ist ein Gesetz im formellen Sinne des Wortes; zu jedem Reichs- 
gesetz ist ein zustimmender Beschluss des Reichstages, der dem Erlass des 
Gesetzes vorausgehen muss, erforderlich (RV. Art. 5). Die Form des Ge- 
setzes ist nicht nur für die Sanktion von Rechtsregeln, sondern auch für ge- 
wisse Verwaltungsakte vorgeschrieben, insbesondere für die Feststellung des 
Reichshaushalts-Etats (Art. 69) und für die Aufnahme einer Anleihe (Art. 73) 
und sie ist bei allen Beschlussfassungen, gleichviel welchen Inhalt sie haben, 
zulässig. 
2.Die Genehmigung des Reichstages ist eine Form, welche zwar 
gestattet, dass ein Willensakt des Reiches ohne die Mitwirkung des Reichs- 
tages formell mit rechtlicher Kraft vorgenommen werden kann, welche aber 
den zur Vornahme befugten Organen die Verpflichtung auferlegt, die Zu- 
stimmung des Reichstages einzuholen. Diese Form findet Anwendung in 
drei verschiedenen Fällen: 
a)beii Verordnungen, wenn der Erlass derselben den Regierungs- 
organen gesetzlich mit der Massgabe übertragen ist, dass die Verordnungen 
dem Reichstage vorzulegen sind und dass dieselben ausser Kraft treten oder 
ausser Kraft zu setzen sind, wenn der Reichstag seine Genehmigung versagt 
oder die Aufhebung verlangt ?). 
b)Bei Verträgen des Reiches mit fremden Staaten, 
wenn dieselben einen in den Bereich der Reichsgesetzgebung fallenden Gegen- 
stand betreffen. Ihr Abschluss, d.h. ihre völkerrechtliche Perfektion erfolgt 
ohne Willensakt des Reichstages, aber zur staatsrechtlichen Gültigkeit, zur 
Durchführbarkeit derselben, ist die Genehmigung des Reichstages erforderlich 
(RV. Art. 11 Abs. 3). 
c) Zur Vertagung des Reichstages ist die Zustimmung des letzteren er- 
forderlich, wenn sie die Frist von 30 Tagen übersteigt oder während derselben 
Session wiederholt wird (RV. Art. 26). 
3.DerKenntnisnahme, d.h. ‚dem Recht des. Reichstages, zu er- 
angehörigen. Er steht zu dem Bundesrate ebensowenig in einem Verhältnisse der Neben- 
ordnung, wie der Landtag zum König.“ 
1) Vgl. M. Wagner, Formelle Rechte des deutschen Reichstages. Hirths An- 
nalen 1906 8. 34 ff., 128 ff. 
2) Beispiele sind in vielen Reichsgesetzen enthalten; das erste schon in der Ge- 
werbe-Ordn. v. 1869 $ 16. Die gewöhnliche Klausel ist die, dass die Verordnungen 
ausser Kraft zu setzen, also aufzuheben sind, wenn der Reichstag die Genehmigung 
nicht erteilt. Vgl. über die verschiedenen Klauseln das Staatsr. d. D. R. I. S. 302 An- 
merk. 2.
	        
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