Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

4 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. $ 12 
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fahren, in welcher Weise die Regierungsorgane des Reiches tätig geworden 
sind‘ !), entspricht die Pflicht der Reichsregierung zur Erstattung von Be- 
richten an den Reichstag. Eine solche ist in sehr zahlreichen Fällen ge- 
setzlich angeordnet, besonders hinsichtlich der Ergebnisse der Finanzverwal- 
tung. Durch die Berichterstattung wird der Reichstag in den Stand gesetzt, 
ein Urteil über die Tätigkeit der Reichsregierung auszusprechen; in den 
meisten Fällen ist dies fakultativ, d. h. der Reichstag kann sich mit der 
blossen Kenntnisnahme begnügen ?); in anderen Fällen muss er die 
Anerkennung der Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen «(die ‚Entlastung‘“‘) 
erteilen, beziehungsweise verweigern (z. B. RV. 72). 
4.Die Ueberweisung an die Regierung steht dem Reichstage zu, 
um Erörterungen, Anträge, Bitten usw. ihr zur Kenntnisnahme oder zur 
Erwägung mitzuteilen oder um die Abhilfe von Uebelständen in Anregung zu 
bringen. Es findet dies Anwendung auf die an den Reichstag gerichteten 
Petitionen (RV. 23) 3). 
Hinzuzufügen ist noch, dass nach Art. 27 der RV. der Reichstag die 
Befugnis hat, die Legitimation seiner Mitglieder zu prüfen, und darüber zu 
entscheiden, durch eine Geschäftsordnung seinen Geschäftsgang und seine 
Disziplin zu regeln und seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schrift- 
führer zu wählen. 
Il.,Der Reichstaggehtausallgemeinenunddirek- 
ten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor.“ RV. 
Art. 20 Abs. 1%). Die näheren Anordnungen sind durch das Wahlgesetz 
vom 31. Mai 1869 gegeben, welches in den süddeutschen Staaten sowie in 
Elsass-Lothringen eingeführt worden ist. Auf Grund der im $ 15 dieses Ge- 
1) Seydel a. a. O. 357. 
2) Die Ausdrucksweise von Seydel, dass ‚die Rolle des Reichstages darauf 
beschränkt ist, den Bericht sich zur Nachricht dienen zu lassen‘‘, ist mindestens miss- 
verständlich. Der Reichstag kann jeden ihm erstatteten Bericht zum Gegenstand 
der Erörterungen machen und durch Beschluss einer ‚Resolution‘ ein Urteil über die 
Gesetzmässigkeit, Zweckmässigkeit, Verbesserungsbedürftigkeit usw. des von der 
Regierung beobachteten Verfahrens abgeben. Eine Ausnahme machen allein die Ueber- 
sichten der vom Bundesrat auf die Beschlüsse des Reichstages gefassten Entschlies- 
sungen. Gesch.O. $ 34. 
3) Den staatsrechtlichen Inhalt des ‚Petitionsrechtes‘“ bildet nicht die Befugnis 
der einzelnen, sich an den Reichstag mit einer Bitte zu wenden — eine Befugnis, die 
selbstverständlich ist und keiner gesetzlichen Anerkennung bedarf, der aber keinerlei 
rechtliche Verpflichtung des Reichstages gegenübersteht —, sondern die Befugnis des 
Reichstags zur Ueberweisung der an ihn gerichteten Petitionen an die Reichs- 
regierung. Hierdurch ist dem Reichstage gewissermassen die Stellung eines öffentlich- 
rechtlichen Rügegerichts den Verwaltungsbehörden gegenüber verliehen. 
UcberdasInterpellationsrechtund das Recht der Adresse vgl.m ein Staatsr. 
des D.R.I 8.307 ff. Bornhak im Arch. £. öffentl. Recht Bd. 16 S. 403 ff. Wag- 
ner &.2.0.8.34ff. Hatschek, Das Interpellationsrecht. Leipz. 1909 undmeine 
Erört. in der DJZ. 1909 S. 677 ff. Durch eine vom Reichstag 1912 beschlossene 
Abänderung der Geschäftsordnung, welcher die Reichsregierung zugestimmt hat, ist die 
Behandlung von kurzen Anfragen und förmlichen Interpellationen seitens des Reichs- 
tages neu geordnet worden; eine staatsrechtliche Pflicht des Reichskanzlers zur Beant- 
wortung ist aber dadurch nicht begründet worden und konnte nicht begründet werden. 
4) Vgl.v.Mohl, Kritische Bemerkungen über die Wahlen zum Deutschen Reichs- 
tage. Freib. (Tüb.) 1874. (Abdruck aus der Zeitschr. f. die ges. Staatswissenschaft 
Bd.30.) Seydel 8.359 ff.und F. Frensdorf£ff, Die Aufnahme des allgemeinen 
Wahlrechts in das öffentl. Recht Deutschlands. 1892. Die beste Bearbeitung ist die 
nachgelassene Schrift von G. Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht Berlin 1901.
	        
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