86 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. 8 13
(RGBl. S. 468) und am Tage seiner Verkündung in Kraft getreten !). Die
den Reichstagsmitgliedern in diesem Gesetz bewilligte ‚„Aufwandsentschädi-
gung‘ unterscheidet sich von einer Besoldung dadurch, daß ihre Auszahlung
an die Bedingung geknüpft ist, daß der Abgeordnete bei den Plenarsitzungen
des Reichstages anwesend ist. Die Anwesenheit wird dadurch nachgewiesen,
dass das Mitglied des Reichstags sich während der Dauer der Sitzung in eine
Anwesenheitsliste einträgt ($ 4 Abs. 1). Das Mitglied braucht also nicht
während der ganzen Sitzung anwesend zu sein; es kann sich, nachdem es
seinen Namen eingetragen hat, wieder entfernen. Wer jedoch an einer nament-
lichen Abstimmung nicht teilnimmt, gilt als abwesend, auch wenn er sich
in die Liste eingetragen hat ($ 4 Abs. 2)?). Die Entschädigung beträgt
jährlich 3000 Mk., welche in sechs Raten von verschiedner Höhe zu zahlen
ist ($ 1 lit. b). Für jeden Tag, an dem ein Mitglied des Reichstages der Plenar-
sitzung ferngeblieben ist, wird von der nächstfälligen Entschädigungsrate
ein Betrag von 20 Mk. in Abzug gebracht ($ 2). Besondere Vorschriften
enthält $ 3 für den Fall, dass ein Mitglied neu gewählt wird, während der
Reichstag versammelt ist, oder dass das Mandat erlischt oder niedergelegt
wird, während der Reichstag versammelt ist. Wenn der Reichstag gemäß
Art. 12 der RV., also vom Kaiser, vertagt ist, gilt er im Sinne dieses Gesetzes
als nicht versammelt ($ 7). Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist
unzulässig. Der Anspruch auf dieselbe ist nicht übertragbar, also auch nicht
pfändbar.
Ausser der Aufwandsentschädigung erhalten die Mitglieder des Reichs-
tages für die Dauer der Sitzungsperiode sowie acht Tage vor deren Beginn
und acht Tage nach deren Schluß freie Fahrt auf allen deutschen Eisen-
bahnen ($ 1 Ziff. a), während sie bisher dieses Recht nur für Reisen zwischen
ihrem Wohnort und dem Sitz des Reichstages hatten. Der Bundesrat ist
ermächtigt, Grundsätze für die Ausführung dieser Bestimmung aufzustellen ?).
Man hoffte, durch diese Bestimmungen der chronischen Beschlußunfähig-
keit des Reichstages und dem schlechten Besuch der Plenarsitzungen abzu-
helfen; diese Hoffnung scheint sich aber nicht verwirklicht zu haben.
Ein Mitglied des Reichstages, welches zugleich Mitglied einer anderen
politischen Körperschaft ist, darf, wenn beide gleichzeitig versammelt sind,
nicht gleichzeitig in beiden Eigenschaften Diäten beziehen; es darf die
Landtagsdiäten nur für diejenigen Tage erhalten, für welche ihm auf Grund
des Reichsgesetzes ein Abzug von der Entschädigung gemacht wird. Auch
‚darf es während der Dauer der freien Fahrt auf den Eisenbahnen keine Eisen-
bahnfuhrkosten annehmen ($ 6).
$ 13. Die Reichsbehörden. I. Reichsbehörden sind diejenigen Behörden,
welche Geschäfte des Reiches führen und ihre Autorität unmittelbar von der
Reichsgewalt ableiten. Dadurch ist das unterscheidende Merkmal zwischen
1) Ueber die rechtl. Bedeutung vgl. mein Staatsr. d. D. R. (5. Aufl.) I S. 360 fg.
2) Die Wirksamkeit dieser Bestimmung hat der Reichstag dadurch abgeschwächt,
dass, wenn eine namentliche Abstimmung beantragt wird, sie erst am nächsten Sitzungs-
tage stattfindet.
3) Sie sind ergangen aımn 27. Juni 1906. RGBl. S. 850.