Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

88 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. $ 13 
  
  
erforderlichen Einrichtungen beschliesst, sofern nicht durch Reichs- 
gesetzetwas anderes bestimmtist‘. 
II. Die Behörden lassen sich wissenschaftlich nach sehr verschiedenen 
Gesichtspunkten gruppieren; für das Staatsrecht entscheidend ist die 
rechtliche Stellung derselben zu den Organen des Staates, d. h. die Ver- 
antwortlichkeit. Auch in der absoluten Monarchie gibt es Beamte, 
welche dem Monarchen für die Verwaltung der ihnen unterstellten Ressorts 
verantwortlich sind, d. h. welche dafür einzustehen haben, daß diese Ver- 
waltungen nach den Befehlen und Intentionen des Monarchen und im wohl- 
verstandenen Interesse des Staates geführt werden. Die Folge hiervon ist, 
dass ihnen die selbständige Leitung dieser Ressorts übertragen ist, und dass 
alle anderen auf diesen Gebieten tätigen Behörden ihnen untergeben und zum 
dienstlichen Gehorsam verpflichtet sind. Denn es ist selbstverständlich, 
dass jemand für die Tätigkeit eines anderen nur insoweit verantwortlich sein 
kann, als er befugt ist, ihm zu befehlen. Im konstitutionellen Staate erlangt 
diese Unterscheidung eine noch erhöhte Bedeutung, weil die Verantwortlich- 
keit nicht nur dem Monarchen, sondern auch der Volksvertretung gegenüber 
besteht (sogen. parlamentarische Verantwortlichkeit). Man pflegt diese Be- 
hörden mit selbständiger politischer Verantwortlichkeit als „Minister“ zu 
bezeichnen; sie bilden eine Behördenkategorie für sich !). Nach der Reichs- 
verfassung gibt es nur einen einzigen Beamten dieser Art, den Reichs- 
kanzler. Denn nach dem Art. 17 bedürfen alle Anordnungen und Ver- 
fügungen des Kaisers zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichs- 
kanzlers,welcherdadurch dieVerantwortlichkeit über- 
nimmt. Hiernach ist der Reichskanzler der einzige und alleinige Minister 
des Kaisers; es gibt kein Ressort der Reichsverwaltung, dessen oberster Chef 
nicht der Reichskanzler wäre; der Reichskanzler hat unter allen Beamten des 
Reichs keinen Kollegen, sondern nur Gehilfen oder eventuell Stellvertreter. 
Eine Durchbrechung hat dieses Prinzip der Reichsverf. jedoch erfahren durch 
das Reichsgesetz v. 4. Juli 1879 $ 2 hinsichtlich des kaiserlichen Statthalters 
in Elsass-Lothringen. 
Unter den dem Reichskanzler untergeordneten Reichsbehörden sind 
aber — ganz so wie unter den den Ministern der Einzelstaaten untergeord- 
neten Landesbehörden — zwei voneinander sehr verschiedene Arten zu 
unterscheiden, nämlich Behörden für die Verwaltung und Behörden für die 
Rechtsprechung. Bei den ersteren erstreckt sich die Verantwortlichkeit des 
Reichskanzlers auf den materiellen Inhalt ihrer Verfügungen und Anord- 
1) Vgl. Jellinek, Die Entwickelung des Ministeriums in der konstit. Monarchie. 
Grünhuts Zeitschrift Bd. X. S. 304 ff. Dupriez, Les Ministres dans les principaux 
pays d’Europe et d’Amierique. Paris 1892. 93. 2 Bde. v. Frisch, Die Verantwort- 
lichkeit der Monarchen und höchsten Magistrate. Berlin 1904. Man darf diese politi- 
sche Verantwortlichkeit in keiner Hinsicht der strafrechtlichen und zivilrechtlichen, 
welche für alle Beamte hinsichtlich ihrer Anıtshandlungen besteht, zur Seite stellen, 
wie dies in der staatsrechtl. Literatur häufig geschieht. Siehe z.B. G.Meyer, Staatsr. 
&$ 135. Andererseits ergibt sich aus der Verantwortlichkeit gegen die Volksvertretung 
die Selbständigkeit der Minister gegenüber den Befehlen des Monarchen hinsichtlich 
ihrer Gesetzmässigkeit und Zweckmässigkeit. Sey del, Komunentar S. 178 und Bayr. 
Staatsr.1 8.509 ff. Brie inv. Stengels Wörterbuch d. d. Verwaltungsrechts II 8. 484 f.
	        
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