Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

90 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. 8 13 
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die Art und Weise, wie er die Präsidialstimme führt oder die übrigen preussi- 
schen Rechte im Bundesrat ausübt, kann daher ebensowenig die Rede sein, 
wie von einer derartigen Verantwortlichkeit des Bevollmächtigten irgend 
eines anderen Bundesgliedes. Der Reichskanzler ist 
2. Reichsminister des Kaisers. Diese Stellung beruht auf 
dem Art. 17 der RV. und nur auf ihm!). Da er der Gehilfe des Kaisers ist, 
so hat er auch nach allen Richtungen hin die dem Kaiser obliegenden staats- 
rechtlichen Funktionen wahrzunehmen. Daraus ergibt sich: 
a) Der Reichskanzler ist, ohne dass er einer Spezialvollmacht bedarf, 
legitimiert zur Vertretung des Deutschen Reiches gegen Dritte, und zwar 
ebensowohl im völkerrechtlichen Verkehr mit anderen Staaten als auch im 
vermögensrechtlichen Verkehr des Reichsfiskus. 
b) Dem Reichskanzler liegen diejenigen kaiserlichen Geschäfte ob, welche 
erforderlich sind, um die Tätigkeit des Bundesrates und des Reichstages im 
Gange zu erhalten, und die Vermittelung des Verkehrs zwischen diesen 
Organen. 
c) Soweit die eigene Verwaltung des Reiches sich erstreckt, ist der 
Reichskanzler ihr oberster, nur dem Kaiser untergebener Chef und Leiter. 
d) Soweit das Recht der Einzelstaaten auf Selbstverwaltung reicht, liegt 
dem Reichskanzler diejenige Tätigkeit ob, welche zur Ueberwachung der Aus- 
führung der Reichsgesetze erforderlich ist. 
Endlich war der Reichskanzler durch das Gesetz vom 9. Juni 1871 auch 
zum Minister des Kaisers für Elsass-Lothringen bestellt worden; das Gesetz 
vom 4. Juni 1879 $ 2 (RGBl. S. 165) hat jedoch die durch Gesetze und Ver- 
ordnungen dem Reichskanzler in elsass-lothringischen Landesangelegenheiten 
überwiesenen Befugnisse und Obliegenheiten auf den kaiserlichen Statthalter 
übertragen. Siehe unten $ 23. 
Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, von welcher Art. 17 der RV. 
spricht, bezieht sich nur auf seine Tätigkeit als Reichsminister, nicht als 
Bundesratsbevollmächtigter; sie ist nicht zu einem Rechtsinstitut gestaltet; 
es fehlt an Anordnungen, worauf sie sich erstreckt, wer befugt ist, sie geltend 
zu machen, welches Verfahren dabei einzuhalten ist, welche Wirkungen mit 
ihr verknüpft sind. Ihre praktische Folge besteht im wesentlichen darin, dass 
der Reichskanzler sich der politischen Notwendigkeit nicht entziehen kann, 
auf Angriffe auf seine Geschäftsführung im Bundesrat ?) und Reichstag Rede 
zu stehen. 
3. Die Vertretung des Reichskanzlers ist in der Reichsverfassung 
nur hinsichtlich des Vorsitzes im Bundesrate und der Leitung der Bundes- 
1) Es ist dies besonders anschaulich von Hänela. a. O. dargelegt worden. Auch 
Fürst Bismarck sagte am 5. März 1878 im Reichstage: „Nun wurde durch den 
Art. 17 die Bedeutung des Reichskanzlers plötzlich zu der eines kontrasignieren- 
den Ministers und nach der ganzen Stellung nicht mehr eines Unterstaatssekretärs für 
deutsche Angelegenheiten im auswärtigen preussischen Ministerium, wie es ursprünglich 
die Meinung war, sondern zu der eines leitenden Reichsministers herausgeschoben.‘“ 
2) Rosenberg S. 31 fg. bestreitet, dass der Reichskanzler auch dem Bundes 
rat verantwortlich sei, jedoch aus unzulänglichen Gründen. Vgl. Preuss 8. 444. 
Zornl1l.S.253. v.Frischa.a. O0. 8.319.
	        
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