Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 13 Die Reichsbehörden. III. Der Reichskanzler. 9| 
  
  
ratsgeschäfte durch Art. 15 Abs. 2 geregelt worden (siehe oben S. 69); da- 
gegen nicht hinsichtlich der reichsministeriellen Geschäfte. Zwar kann der 
Reichskanzler auch ohne besondere gesetzliche Ermächtigung die Erledigung 
der ihm obliegenden Geschäfte wie jeder Chef einer Behörde anderen, zu 
seiner Unterstützung angestellten Beamten (Staatssekretären, Direktoren, 
Räten usw.) übertragen; allein Stellvertreter dieser Art sind zwar dem 
Reichskanzler für die instruktionsgemäße, sorgfältige und umsichtige Füh- 
rung der ihnen aufgetragenen Geschäfte verantwortlich, dagegen dem Kaiser, 
Bundesrat und Reichstag gegenüber bleibt der Reichskanzler verantwortlich. 
Er kann sich dieser Verantwortlichkeit nicht dadurch entziehen, daß er die 
Geschäfte von anderen Personen vornehmen läßt, da die RV. eben nur einen 
einzigen verantwortlichen Verwaltungschef, den Reichskanzler, kennt. Auch 
muß es der bestimmten Anordnung im Art. 17 der RV. gegenüber zum 
mindesten als sehr zweifelhaft erachtet werden, ob die Gegenzeichnung einer 
kaiserlichen Verordnung oder Verfügung durch einen Stellvertreter des 
Reichskanzlers gültig erfolgen könne. Da sich jedoch das Bedürfnis nach einer 
verantwortlichen Stellvertretung des Reichskanzlers unter Ent- 
lastung des letzteren von der Verantwortlichkeit herausstellte, so wurde durch 
das RG. vom 17. März 1878 (RGBl. S. 7) eine solche eingeführt. Dieses Ge- 
setz betrifft die Stellvertretung des Reichskanzlers in seiner Eigenschaft als 
Reichsminister und lässt die Vorschriften des Art. 15 der RV. über die Stell- 
vertretung im Vorsitz und der Geschäftsleitung des Bundesrats unberührt 
($ 4). Die Stellvertreter werden vom Kaiser ernannt, nicht wie im Falle des 
Art. 15 vom Reichskanzler selbst, und zwar nur in Fällen der Behinderung 
des Reichskanzlers. Die Behinderung wird durch den Reichskanzler selbst 
konstatiert, indem er an den Kaiser den Antrag auf Bestellung der Stell- 
vertreter stellt ($ 1). Die vom Reichskanzler selbst konstatierte Behinderung 
hindert ihn aber nicht, jede Amtshandlung anch während der Dauer einer 
Stellvertretung selbst vorzunehmen ($ 3)!). Die Stellvertreter sind befugt 
zur Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen des Kaisers und zur 
Wahrnehmung der sonstigen dem Reichskanzler durch die Verfassung und 
die Gesetze des Reichs übertragenen Obliegenheiten ($ 1). Das Gesciz lässt 
im $ 2 zwei Arten von verantwortlichen Stellvertretern zu: 
&) Einen Generalstellvertreter (Vizekanzler) für den gesamten Umfang 
der Geschäfte und Obliegenheiten des Reichskanzlers ?); 
b) Ressortsstellvertreter für diejenigen einzelnen Amtszweige, welche sich 
in der .eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches befinden. Aus- 
geschlossen sind demnach verantwortliche Stellvertreter für diejenigen Amts- 
— — 
1) Dadurch bleiben sämtliche Ressorts trotz der Ernennung von Stellvertretern 
der obersten Leitung, ja selbst unmittelbaren Eingriffen des Reichskanzlers ausgesetzt; 
infolgedessen bleibt er aber auch in einem gewissen Grade verantwortlich. 
Denn die politische Verantwortlichkeit besteht auch für Unterlassungen und 
kann mithin auch in der Richtung geltend gemacht werden, dass der Reichskanzler 
von der ihm nach $ 3 zit. zustehenden Befugnis keinen Gebrauch gemacht habe. 
2) Es ist nicht erforderlich, dass der Generalstellvertreter Chef einer obersten 
Reichsbehörde ist; es besteht aber die Praxis, immer den Staatssekretär des Reichsamts 
des Innern zum Generalstellvertreter zu bestellen.
	        
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