8 16. Die Rechte der Reichsangehörigen. 153
Auch hier sind die Einzelstaaten übrigens nicht völlig eliminiert
und durch das Reich keineswegs gänzlich verdrängt. Eine Trennung
von Zentralgewalt und Einzelstaatsgewalt, wie sie die ältere Bundes-
staatstheorie lehrte, daß auf gewissen Gebieten nur das Reich, auf
anderen nur der Einzelstaat Hoheitsrechte hat, besteht nicht einmal
hier, wo die Machtbefugnisse des Reiches am meisten entwickelt sind.
Denn abgesehen davon, daß es den Einzelstaaten unbenommen ist,
Landes-Gesandtschaften zu unterhalten, denen der Schutz und
die Vertretung der Interessen der Landesangehörigen zunächst obliegt,
bestimmt auch hinsichtlich der Konsulate, zu deren Errichtung das
Reich ausschließlich befugt ist, der 83, Abs.2des Gesetzesvom
8 November 1867:
»In besonderen, das Interesse (eines einzelnen Bundesstaates
oder) einzelner Bundesangehörigen betreffenden Geschäftsange-
legenheiten berichten sie an die Regierung des Staates,
(um dessen besonderes Interesse es sich handelt, oder) dem
die beteiligte Privatperson angehört; auch kann
ihnen in solchen Angelegenheiten die Regierung eines Bundes-
staates Aufträge erteilen und unmittelbare Berichterstattung ver-
langen.«
Hiernach ist es den Einzelstaaten unbenommen, sich selbst ihrer
Angehörigen im Auslande anzunehmen, und kein Deutscher ist ge-
hindert, sich an die Regierung seines Heimatstaates zu wenden und
ihre Fürsorge für seine Interessen zu verlangen. Aber er ist auf sie
nicht angewiesen. Die Organe des Reiches, Gesandtschaften und Kon-
sulate, sind ihm unmittelbar zugänglich, ebenso das Auswärtige Amt
des Reiches, und das Reich allein verfügt über die Machtmittel, um
den Schutz dem Auslande gegenüber fühlbar und wirksam zu machen.
2. In den inneren Angelegenheiten entspricht der Pflicht des Staats-
bürgers zur Tragung der staatsbürgerlichen Lasten, zum Gehorsam und
zur Treue sein Recht, an den Wohltaten des staatlichen Gemeinwesens
Teil zu nehmen!).
Die ursprünglichste, natürlichste und im ganzen auch die wichtigste
Seite des Staatsbürgerrechts in dem entwickelten Sinne ist der Anspruch,
im Staate — d. h. im Gebiet und unter dem Schutz des Staates —
leben zu dürfen. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der
rechtlichen Stellung des Staatsangehörigen und derjenigen des Fremden,
daß der letztere im Staat geduldet wird, dererstere berechtigt
ist, im Staate zu leben.
und Rücksichten bestimmt wird. Vgl. auch Vogel, Bayer. Staatsrecht S. 79, Note 1.
1) Jellinek, System S. 119, Note 1 polemisiert gegen diese Ansicht; S. 132
aber erkennt er an, daß „dem Individuum Ansprüche zustehen auf Versorgung
und Förderung aller seiner mit Hilfe staatlicher Tat zu erfüllenden Interessen, inso-
weit das Gemeininteresse es gestattet. In diese Formel kann der wesentliche Inhalt
der Mitgliedschaft am modernen Staate zusammengefaßt werden“. Zutreffend Tez-
ner in Grünhuts Zeitschrift Bd. 21, S. 200 ff.