Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

24 8 2.. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 
Am 16. April 1867 hat der Reichstag die Beratung des Entwurfs 
zu Ende geführt und ihn in der Gestalt, wie er aus dieser Beratung 
hervorgegangen ist, mit 230 gegen 53 Stimmen angenommen. An dem- 
selben lage traten die Bevollmächtigten der verbündeten Regierungen 
zu einer Sitzung zusammen und beschlossen einstimmig: 
den Verfassungsentwurf, wie er aus der Schlußberatung des Reichs- 
tages hervorgegangen ist, anzunehmen !). 
Die rechtliche Lage, welche durch diese Beschlüsse geschaffen 
wurde, bedarf einer näheren Fixierung Die Errichtung des 
Norddeutschen Bundes war noch nicht erfolgt; von 
allen anderen Gründen abgesehen schon deshalb nicht, weil dem Reichs- 
tage durch die Mehrzahl der Wahlgesetze nur die Befugnis zur Be- 
ratung einer Bundesverfassung erteilt worden war. Ganz unhaltbar 
ist die Ansicht, daß die Bundesverfassung auf einer Vereinbarung be- 
ruhe, welche zwischen den verbündeten Regierungen einerseits und 
dem beratenden Reichstage andererseits zustande gekommen sei und 
aus dieser Vereinbarung ihre verpflichtende Kraft ziehe?). Der Reichs- 
tag war kein Rechtssubjekt, er konnte nicht kontrahieren und Rechte 
und Pflichten übernehmen; er war auch im eigentlichen Sinne des 
Staatsrechts keine Volksvertretung, da eine solche die staatliche Or- 
ganisation des Volkes schon voraussetzt. Der Reichstag war nicht ein 
den Regierungen gegenüberstehender »Paziszent« der Bundesverfas- 
sung, sondern ein Mittel, um zur Vereinbarung einer Verfassung zu 
gelangen. Er hatte nicht staatsrechtliche Befugnisse, sondern eine 
politische Aufgabe; er sollte dazu dienen, die voneinander abweichen- 
den Ansichten und partikularistischen Tendenzen der einzelnen Re- 
gierungen auszugleichen und seine Zustimmung sollte eine Bürgschaft 
1) Das Protokoll ist dem Reichstag am 17. April 1867 mitgeteilt worden. (Stenogr. 
Berichte S. 731.) Noch an demselben Tage wurde der Reichstag mit einer Thron- 
rede geschlossen, welche dem Gefühle aufrichtiger Genugtuung über das Zustande- 
kommen des nationalen Werkes beredten Ausdruck gab. 
2) So Thudichum, Verf. des Nordd. B. S.51. Westerkamp, Reichsverf. 
S. 21 u. 28 hat diese Konstruktion dadurch verunstaltet, daß er drei Arten von „Kon- 
trahenten bei der Nordd. Bundesverf.“ annimmt, nämlich 1. die Fürsten und freien 
Städte, 2. die Bevölkerungen der einzelnen Staaten, repräsentiert durch ihre gesetz- 
lichen Vertreter, und 3. das nordd. Volk in seiner Gesamtheit, repräsentiert durch 
den konstituierenden Reichstag. Einer Widerlegung bedarf dies nicht. Neuerdings 
hat aber Binding, Gründung (1889) diese Ansicht wieder aufgenommen und ihr 
die Wendung gegeben, daß die Regierungen und das zum Parlament organisierte (?) 
norddeutsche Volk die „Urheber“ der vereinbarten Verfassung seien, denen die Völ- 
kerschaften der einzelnen norddeutschen Staaten als „Gehilfen“ zur Seite standen. 
Für die Verfassungserrichtung sei diese Beihilfe „unwesentlich“ und deshalb „rechts- 
widrig“ (!) gewesen; für den Verfassungsvollzug dagegen sei sie „wesentlich“ ge- 
wesen, habe aber durchweg „die falsche Form“ angenommen; „der Gehilfe versuchte 
sich unter die Urheber zu drängen“. S. 17, 19, 66. Gegen Binding vgl. dic Aus- 
führungen von Hänell, S. 19 fg. und Rich. Hudson, The Formation of the north 
german Confederation in der Political Science Quaterly des Columbia College VI, p. 424 
(1891).
	        
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