8 40. Der Reichskanzler. 379
scher Staatsminister ist, daß er vielmehr seine Instruktionen vom
preußischen Staatsministerium einfach zugeschickt erhält, so würden
die Grundsätze von der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit
auf ihn ganz und gar unanwendbar sein ; seine Verantwortlichkeit be-
stände vielmehr nur dem preußischen Staatsministerium gegenüber
und wäre darauf beschränkt, daß er seinen Instruktionen gemäß ge-
stimmt habe. Ist aber der Reichskanzler selbst preußischer Staats-
minister und nimmt er folglich selbst Anteil an der Feststellung der
Vorschriften, wie sich die preußischen Bevollmächtigten im Bundes-
rate zu verhalten haben, so ist er nach Maßgabe des preußischen Staats-
rechts hierfür ebenso verantwortlich, wie dies oben ganz allgemein
hinsichtlich der Instruktionserteilung für die Regierungen aller Bun-
desstaaten entwickelt worden ist. Dagegen kann von einer Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers für seine Tätigkeit als Reichsminister
dem preußischen Landtage gegenüber in keiner Art die Rede
sein; als solcher führt er nicht preußische Staatsgeschäfte, sondern
Reichsgeschäfte.
II. Der Reichskanzler als Reichsminister des Kaisers.
Während der Reichskanzler im Bundesrate preußischer
Bevollmächtigter ist, ist der Reichskanzler außerhalb des
Bundesrates Reichsbehörde, und zwar ist er, wie bereits ausge-
führt worden ist, der einzige verantwortliche Minister des Reiches!).
Die Ministerialbefugnisse im Reiche sind nun aber wegen des bundes-
staatlichen Charakters desselben nicht ganz dieselben wie im Einheits-
staate. Das allgemeine Grundprinzip läßt sich dahin bestimmen, daß
der Reichskanzler als der Minister und Gehülfe des Kaisers alle die-
jenigen Geschäfte auszuführen hat, welche die Prärogative des Kaisers
bilden, Die Funktionen des Reichskanzlers sind demnach auf folgende
Kategorien zurückzuführen:
1. Da der Kaiser der Vertreter des Deutschen Reiches ist, so
ist der Reichskanzler auswärtigen Staaten und überhaupt allen Drit-
ten gegenüber, mit denen das Reich in Rechtsverhältnissen steht
oder mit denen es in ein Rechtsverhältnis treten will, legitimiert, die
Rechte des Reiches wahrzunehmen, Verhandlungen zu führen, Verträge
zu vereinbaren, Leistungen entgegenzunehmen und zu gewähren. Der
Reichskanzler bedarf hierzu regelmäßig keiner Spezialvollmacht, wenn-
gleich es nicht ausgeschlossen ist, daß der Kaiser ihm bei besonders
wichtigen Verhandlungen eine solche erteilt. Soll dagegen nicht der
Reichskanzler, sondern irgend ein anderer Bevollmächtigter das Reich
(den Kaiser) Dritten gegenüber vertreten, so ist dazu regelmäßig eine
besondere Vollmacht erforderlich, welche entweder der Kaiser selbst
1) Abgesehen von Elsaß-Lothringen. Siehen unten Ziff. 5. — Daß) das Reichs-
beamtengesetz auf den Reichskanzler Anwendung findet, ist nicht zweifelhaft. Vgl.
HenselS. 5tg.