132 8 60. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge.
der Erfordernisse von Staatsverträgen eine ungemein unklare und
schwankende ist. Es erhöht dies die großen Schwierigkeiten, welche
die mißlungene Fassung des Art. 11 der Reichsverfassung ohnedies be-
reitet!. Wenn man aber nicht gänzlich darauf verzichtet, einen wis-
senschaftlichen Zusammenhang in die Lehre von den Staatsverträgen
zu bringen, und wenn man sie mit den übrigen Lehren des Staats-
rechts in den unerläßlichen, praktisch und theoretisch gleich unent-
behrlichen Einklang setzen will, so darf man sich durch die fehler-
hafte Art der Verkündigung nicht hindern lassen, denjenigen Willens-
akt aus dem Dunkel hervorzuholen, auf welchem die staatsrechtliche
Bedeutung eines Staatsvertrages allein beruht. Wie bei der Gesetz-
gebung der staatsrechtlich entscheidende Vorgang — die Sanktion —
äußerlich verschwindet und von den übrigen Erfordernissen der Ge-
setzgebung verdeckt und verborgen ist, so wird auch der staatsrecht-
lich entscheidende Vorgang bei den Staatsverträgen — der Befehl, sie
zu befolgen — bei der Verkündigung gleichsam verschluckt’).
Im folgenden sollen die beiden Akte, der Abschluß des völker-
rechtlichen Rechtsgeschäftes und der staatliche Befehl, auf dem die
verbindliche Kraft im Innern beruht, einer getrennten Erörterung
unterzogen werden.
1) Die einfache Uebertragung der preuß. Verkündigungsform auf den Nordd. Bund
ist wohl darauf zurückzuführen und daraus zu erklären, daß nach dem ursprünglichen
Bismarck’schen Verfassungsentwurf Preußen die völkerrechtliche Vertretung der
ihm angegliederten Staaten übernehmen und der König von Preußen die Staatsver-
träge des Bundes abschließen sollte.
2) Während in der früheren Literatur zwischen dem völkerrechtlichen und dem
staatsrechtlichen Vorgang gewöhnlich nicht unterschieden und das Ganze als ein
völkerrechtlicher Akt betrachtet wurde, ist in neuester Zeit Zorn in das
entgegengesetzte Extrem verfallen. In der oben zitierten Abhandlung und in seinem
Staatsrecht I, $ 18 stellt er die Ansicht auf, daß ein Völkerrecht als solches über-
haupt nicht existiere, sondern als „äußeres Staatsrecht“ aufzufassen sei (S. 8), „daß
ein zwischenstaatlicher Vertrag gar keinen juristischen, auch keinen völkerrechtlichen
Charakter trage“, „daß die Ratifikation bei Staatsverträgen genau der nämliche Rechts-
akt sei, wie bei Gesetzen die Sanktion“ und daß: „dasjenige, was den Vertrag zum
Recht macht, die Ratifikation sei. Sie sei der Imperativ (!) an die Staatsangehörigen,
den Vertrag zu beobachten“ (S. 36). Gegen Zorn haben sich bereits ausführlich
ausgesprochen Jellinek a.a. 0.S.55ff., J. A. Levy S. 99 fg. und jetzt auch
Seligmann S. 134 fl. Mag man über die Konstruktion des Völkerrechts denken,
wie man will, die Tatsache läßt sich nicht wegleugnen, daß Staaten gegen einander
vertragsmäßig Rechtsverhältnisse begründen und sich wechselseitig zur Vornahme
staatlicher Handlungen verpflichten, und daß die Wirkungen solcher Akte an und
für sich nur nach außen, gegen die mitkontrahierenden Staaten eintreten, nicht nach
innen. Schon das nicht seltene Vorkommen geheimer Staatsverträge und die unbe-
zweifelte völkerrechtliche Verbindlichkeit derselben zeigt deutlich, daß ein ratifi-
zierter Staatsvertrag noch lange kein Gesetz ist. Es ist, überhaupt nicht einzusehen,
wie ein einem anderen Staat gegebenes Versprechen ein „Imperativ“ sein soll.