Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

282 8 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 
der das Schutzgebiet umgebenden 50 Kilometer-Zone bis jetzt gar keine 
Herrschaftsrechte und keine Schutzgewalt, sondern nur völkerrecht- 
liche Ansprüche gegen China. 
c) In Südwestafrika, Kamerun und Togo liegen die 
Verhältnisse tatsächlich und rechtlich etwas anders. Die einheimische 
Bevölkerung ist zahlreich und nicht im Zustande der Wildbeit, son- 
dern halbzivilisiert. Es fehlte bei Errichtung der deutschen Schutz- 
gewalt keineswegs an einer Organisation der Bevölkerung unter Häupt- 
lingen oder Stammkönigen, welche die Rechte der Besteuerung, der 
Gerichtsbarkeit, des Befehls bei Kriegen usw. ausübten '). Ebenso fehlt 
es diesen Völkern nicht an Reehtsvorstellungen; sie haben 
den Begriff des Eigentums und anderer Vermögensrechte, Familien- 
recht, Erbrecht. Sie sind daher keineswegs unfähig zum Abschluß 
von Rechtsgeschäften. Bei Errichtung der Schutzherrschaft wurden 
zwischen dem Kaiser und den einheimischen Häuptlingen Verträge 
abgeschlossen, durch welche den letzteren der Schutz des Reichs und 
die Fortdauer der von ihnen bisher ausgeübten Hoheitsrechte der Be- 
steuerung, und meistens auch der Gerichtsbarkeit, sowie Schonung 
der bestehenden Sitten und Gebräuche und der Besitzrechte am Grund 
und Boden zugesichert wurden. Siehe oben S. 267 fg. Durch diese 
Verträge wurde allerdings die Schutzgewalt des Reichs nicht in dem 
Sinne begründet, daß die Rechte des Reichs von denen der einheimi- 
schen Häuptlinge abgeleitet, von den Häuptlingen dem Reich 
übertragen worden sind; der Rechtsgrund der Schutzgewalt ist viel- 
klar, daß dies keiner Erörterung bedarf. Jellinek in der Deutschen Juristenzei- 
tung 1898, S. 255 glaubt, daß der Typus der Pacht, wie ihn das englische Recht 
entwickelt hat, dem Vertrage zugrunde gelegt worden sei. Man kann das Recht Chinas 
auf Kiautschou mit dem ehemaligen Recht Schwedens auf Wismar vergleichen; ob das 
Besitzrecht als Pacht oder Pfandschaft bezeichnet wird, macht keinen Unterschied; 
in beiden Fällen steht ihm lediglich ein Heimfallsrecht gegen gewisse Zahlungen 
gegenüber. Immerhin ist es rechtlich von Bedeutung, daß das Recht des Reichs über 
Kiautschou zeitlich begrenzt ist, wenn es auch tatsächlich nicht wahrschein- 
lich sein mag, daß das Heimfallsrecht von China jemals ausgeübt werden wird. 
1) Manche Schriftsteller bestreiten, daß bei diesen Völkerschaften überhaupt eine 
staatliche Organisation vorhanden gewesen sei; aber es ist ungerechtfertigt, die mo- 
dernen Vorstellungen der zivilisierten Völker von den Aufgaben und Einrichtungen 
des Staates zum Maßstabe zu nehmen. Die Gemeinwesen der Germanen zur Zeit des 
Tacitus, das ostfränkische Reich der nachkarolingischen Zeit, das Deutsche Reich in 
den Perioden des Faustrechts usw. entsprechen auch unseren staatlichen Vorstellungen 
keineswegs; dessenungeachtet hat noch niemand ihnen den Charakter von Staaten 
abgesprochen. Es kommt nicht darauf an, daß — wie v. Stengel, Annalen 1889, 
S. 67, sagt — erkeinen Grund einsieht, warum den Hottentotten im süd- 
westafrikanischen Schutzgebiete und den Negern in Kamerun ein so hoher Kultur- 
zustand „beigelegt“ wird, um anzunehmen, daß sie eine einheimische Staatsgewalt 
von rechtlichem Charakter (?) besitzen, sodern lediglich auf die Tatsache, daß 
der Kulturzustand dieser Völker nicht — wie bei den Südseeinsulanern — derjenige 
der Wildheit ist, und daß einheimische Obrigkeiten bei ihnen in Wirklichkeit vor- 
handen sind.
	        
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