Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

855. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung. 33 
wird, und der durch seinen Beschluß den Willen der Einzelstaaten 
zu einem einheitlichen Gesamtwillen verbindet. 
Die sSanktion der Reichsgesetzeerfolgt demnach 
durcheinen Beschluß des Bundesrates!) 
Da nun der Bundesrat auch an der Feststellung des Gesetzesin- 
haltes Anteil nimmt, so kann die Zustimmung des Bundesrates zu dem 
Inhalte des Gesetzentwurfes mit dem Beschluß denselben zu sanktio- 
nieren, in einen und denselben Akt zusammenfallen und infolge 
dessen die Bedeutung dieses letzteren verdunkelt werden. Dessen un- 
geachtet ist es nicht schwierig, beide Momente von einander zu unter- 
scheiden; denn die beiden Beschlüsse werden nichtin 
allen Fällen gleichzeitig und uno actu gefaßt. Estritt 
dies deutlich zutage, wenn ein Gesetzesvorschlag vom Bundesrat aus- 
geht und vom Reichstage unverändert angenommen wird. Ob- 
wohl der Bundesrat schon früher als der Reichstag mit dem Inhalt 
des Gesetzentwurfs sich einverstanden erklärt hat, so muß der Bundes- 
rat dennoch, wenn die Vorlage aus dem Reichstage an ihn zurück- 
gelangt, einen zweiten Beschluß fassen, welcher darauf gerichtet ist, 
den Gesetzentwurf dem Kaiser zur Ausfertigung und Verkündigung zu 
unterbreiten ?). 
1) Dies ist auch in der neueren Literatur allgemein anerkannt. Vgl. Seyelin 
Holtzendorffs Jahrb. III (1879, S. 285; Hänel, Studien I, S. 52; Zornl, S. 413; 
SchulzeIlI, S. 118; Meyer 8 163 (daselbst Note 4 reichliche Literaturangaben) 
und Anteil der Reichsorgane S. 41ff.; Jellinek S. 324; Arndt, Kommentar Note 5 
zu Art.5u.A.; Liebenow, Promulgat. S. 12fg.; Anschütz, Enzykl. S. 601. 
Neuerdings hat Kolbow im Archiv für öffentl. Recht Bd. 5, S. 97fg. die Behaup- 
tung aufgestellt, daß die Reichsverfassung überhaupt keine Sanktion kenne. Da er 
aber anerkennt, daß das Gesetz einen Befehl enthalte, also doch Jemand vorhanden 
sein muß, der diesen Befehl erteilt, so kommt er zu dem Satz, das Reich sei der 
Gesetzgeber. Dies ist aber keine befriedigende Lösung, denn es erhebt sich sofort 
die Frage, durch welches Organ das Reich den Gesetzesbefehl erteilt. Lediglich auf 
die Beantwortung dieser Frage kommt es an; die Ausführung Kolbows kommt im 
Endresultat darauf hinaus, daß die Sanktion der Reichsgesetze gemeinschaft- 
lich vom Bundesrat und Reichstag erfolgt, was ich für unrichtig halte. Auch 
Gierke, D. Privatrecht $ 18, Note 11 behauptet, daß bei Reichsgesetzen überhaupt 
keine Sanktion stattfinde, was mit seinem Bestreben, aus dem Gesetzesbegriff das 
Moment des Befehls zu eliminieren, zusammenstimmt. Endlich hat auch W. Rosen- 
berg in Hirths Annalen 1900, S. 577 ff. die Meinung zu begründen versucht, daß die 
Sanktion weder zum Gesetzgebungsverfahren überhaupt erforderlich ist, noch bei 
Reichsgesetzen stattfindet. Der Hauptgrund aller dieser Schriftsteller, daß die Sank- 
tion in den Verfassungen in der Regel nicht besonders erwähnt wird, ist m. E. nicht 
von Bedeutung; denn die Verfassungen enthalten oft gerade dasjenige nicht, was 
selbstverständlich ist und einer ausdrücklichen Festsetzung nicht bedürftig erscheint; 
erkennt man aber an, daß in jedem Gesetz ein Befehl enthalten ist, so ist es auch 
selbstverständlich, daß jemand diesen Befehl erteilen muß, und da der Gesetzesbefehl 
nach althergebrachten Anschauungen ein Befehl der höchsten Autorität des Staates 
ist, so ergibt sich aus der allgemeinen Ordnung der Verfassung eines Staates zugleich, 
welches Organ des Staates dazu berufen ist. 
2) Es ist dies durch den Wortlaut des Art. 7, Ziff. 1 der Reichsverfassung aner-
	        
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