Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 55. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung. 37 
9. Da der Reichstag weder an der Sanktion noch an der Aus- 
fertigung der Reichsgesetze einen Anteil hat, die Eingangsformel aber 
lediglich auf diese beiden Gegenstände sich bezieht, so besteht keine 
rechtliche Nötigung, daß die Genehmigung des Reichstages auch auf 
die Eingangsworte des Gesetzes erstreckt wird. Die Praxis hat jedoch 
im Anschluß an das in Preußen beobachtete Verfahren sich dafür ent- 
schieden, die Beschlußfassung des Reichstages auch auf die Eingangs- 
formel auszudehnen !., Dadurch ist der Reichstag in der Lage, eine 
Kontrolle darüber auszuüben, daß die Eingangsformel mit dem 
für die Reichsgesetzgebung vorgeschriebenen Verfahren im Einklang 
steht und keine mit dem Inhalt des Gesetzes in Widerspruch stehende 
Klauseln enthält. 
6. Der Beschluß des Bundesrates, durch welchen einem Gesetz- 
entwurf die Sanktion erteilt wird, ist nach den in Art. 6 und 7 der 
Reichsverfassung gegebenen Bestimmungen zu fassen. In der Regel 
genügt daher die einfache Majorität, welche nach den Bd. 1, S. 283 fg. 
entwickelten Vorschriften festzustellen ist. Nach dem Verfassungsges. 
für Els.Lothr. Art. 1 werden die reichsländischen Stimmen jedoch 
nicht gezählt, wenn die Präsidialstimme (Preußen) nur durch den 
Hinzutritt dieser Stimmen die Majorität erlangen oder bei Stimmen- 
gleichheit den Ausschlag geben würde. Siehe unten 868. Ausgenom- 
men hiervon sind: 
  
  
deutschen Bunde niemals das „Präsidium“ eine Verordnung oder ein Gesetz erlassen 
hat, sondern stets der „König von Preußen“ im Namen des Norddeutschen 
Bundes. Dies stand im Widerspruch mit Art. 17 der Bundesverfassung, wonach nicht 
der König von Preußen, sondern das „Präsidium“ die Bundesgesetze zu verkündigen 
hatte; man konnte oder wollte aber die Bezeichnung Präsidium nicht als Titulatur 
verwenden und setzte sich daher über diese formelle Differenz fort. Nach der Er- 
weiterung des Norddeutschen Bundes zum Reich erfolgt nunmehr die Verkündigung 
seitens des „Deutschen Kaisers, Königs von Preußen“, im übrigen aber hat man die 
hergebrachte Formel unverändert gelassen. Eine ausdrückliche Feststellung des 
Sinnes, welcher in dieser Eingangsformel dem Worte „verordnen“ beizulegen ist, hat 
unter den Organen des Reiches niemals stattgefunden. Es ist daher die Annahme 
ausgeschlossen, daß durch den Gebrauch dieser Formel eine wesentliche Ergänzung 
oder gar Veränderung der Verfassung stattgefunden habe, und ich kann die Behaup- 
tung Fricker’s a.a. 0. S. 26ff., daß die Sanktion der Reichsgesetze vom Kaiser 
ausgehe, die er lediglich auf den Gebrauch dieser Formel stützt, nicht für be- 
gründet ansehen. Bornhak im Archiv für öffentl. Recht Bd. 8, S. 461 ff. behauptet, 
daß dem Kaiser auf Grund eines der Verfassung derogierenden Gewohnheits- 
rechts die Sanktion der Reichsgesetze zustehe. Mit so willkürlichen Annahmen 
kann man alles beweisen. Vgl. dagegen auch Seydel, Kommentar S. 173. 
1) Der vonv. Rönne, Preuß. Staatsrecht I, S. 183 weitläufig ausgeführte Grund, 
daß die Sanktionsformel ein „Teildes Gesetzes“ sei, vgl. auch dessen Staats- 
recht des Deutschen Reichs II, 1, S. 16, ist lediglich eine versteckte petitio principii. 
Auch Meyer, Anteil etc., S. 57 und 71 ist der Ansicht, daß die Eingangsformel der 
Reichsgesetze der Genehmigung des Reichstags bedürfe, macht aber im Widerspruch 
mit diesem Prinzip eine Ausnahme, wenn nach Annahme des Gesetzentwurfs in 
Preußen ein Thronwechsel eintritt oder eine Regentschaft eingesetzt wird. Sielie da- 
gegen Zorn in der Deutschen Literaturzeitung 1889, S. 1426 und Dyroff S. 861g.
	        
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