Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

120 8 74. Das Eisenbahnwesen. 
Abs. 2 übrig, wonach der Bundesrat »über die zur Ausführung der 
Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und 
Einrichtungen« beschließt. Abgesehen davon, daß der Bundesrat hier- 
nach zur Anordnung von Rechtssätzen, z.B. Strafandrohungen, 
nicht befugt ist, kann man auch die Frage aufwerfen, ob die den Ein- 
zelstaaten obliegende Verpflichtung, sich über einen gleichartigen In- 
halt der von ihnen zu erlassenden Vorschriften über den Eisenbahn- 
betrieb zu verständigen, als ein Reichsgesetz angesehen werden dürfe, 
dessen »Ausführung« der Beschlußfassung des Bundesrates unterliegt, 
zumal die Verfassung des Norddeutschen Bundes, aus welcher die 
Art.42 und 43 der Reichsverfassung mit nur unwesentlichen Fassungs- 
änderungen entnommen sind, eine dem Art. 7, Abs. 2 der Reichsver- 
fassung entsprechende Bestimmung überhaupt nicht hatte. Ueberdies 
ist im Art. 7, Ziff. 2 die Befugnis des Bundesrates eingeschränkt durch 
die Klausel: »insofern nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt 
ist«;, es kommt also, da auch die Reichsverfassung ein Reichsgesetz ist, 
darauf an, ob nicht Art. 43 »etwas anderes bestimmt«, indem er die 
Bundesregierungen mit dem Erlaß gleicher Bahnpolizeireglements be- 
traut. Art. 7, Ziff. 2 weist also wieder auf Art. 43 zurück, und man 
kann die Zuständigkeit des Bundesrats aus Art. 7 nur herleiten, wenn 
man die Schlußworte der Ziff. 2 unterschlägt. Man kann die Zu- 
ständigkeit des Bundesrats auch nicht durch die Erwägung begründen, 
daß der Zweck, welchen die im ersten Satz des Art. 43 enthaltene 
Anordnung verfolgt, am sichersten und einfachsten erreicht werde, 
wenn das Reich selbst das Reglement erlasse, und daß es ein unnötiger 
Umweg sei, wenn der Bundesrat zuerst die Vorschriften beschließt und 
dann die einzelnen Staaten sie in Kraft setzen und das Reich dies 
überwache. Solche Ausführungen sind keine Auslegung, sondern eine 
Kritik der Reichsverfassung; sie setzen an die Stelle dessen, was die 
Reichsverfassung enthält, etwas, was sie hätte enthalten sollen!),. Arndt, 
1) Die Frage nach der Gültigkeit der vom Bundesrat erlassenen Betriebsordnung 
und Bahnordnung ist in neuester Zeit mehrfach erörtert worden. Gegen dieselbe er- 
klären sich Hänel, Staatsrecht I, S.645; G. Meyer-Dochow, Verwaltungsrecht 
S. 284; Eger S.60, Note8; Seydel, Kommentar S. 273; Betz, Zeitschr. f. Eisen- 
bahnrecht Bd. 14, S. 92ff., 286 ff.; Großmann in der Zeitschr. f. Praxis u. Gesetz- 
gebung f. das Kgr. Sachsen Bd. 19 (1898. Auch im Separatabdruck); Schollen, Die 
Rechtsgültigkeit der Strafandrohung im $ 62 der Betriebsordnung, Bonn 1897. Für 
die Gültigkeit sprechen sich aus Löning, Verwaltungsrecht S. 623; Lahusenin 
Grünhuts Zeitschr. Bd. 24, S. 357 ff.; Zorn IL, S.304; Arndt im Archiv für öffentl. 
Recht XI, S. 370 (wieder abgedruckt in seinem Staatsrecht S. 309 ff.) und Dambitsch 
S. 534. Er setzt sich über den klaren Wortlaut der RV. mit der kühnen Bemerkung 
hinweg, daß darin „nur stilistische Ungenauigkeiten“ zu finden sind. Vgl. darüber 
oben S. 113). Soweit die Betriebsordnung Verwaltungs vorschriften enthält, ist 
die Frage nur von theoretischer Bedeutung; denn die Bundesregierungen konnten 
die Befolgung des Reglements den Eisenbahnverwaltungen im Verwaltungswege vor- 
schreiben und haben dies getan; von praktischer Wichtigkeit ist aber die Frage, ob 
die in der Betriebsordnung enthaltenen bahnpolizeilichen Vorschriften und Straf-
	        
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