132 8 74. Das Eisenbahnwesen.
rat!.. Auf Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung kann die Zuständigkeit
des Bundesrats nicht gegründet werden; denn die Eisenbahn-Verkehrs-
ordnung dient nicht zur Ausführung, sondern zur Ergänzung des
Handelsgesetzbuchs?) und sie enthält nicht Verwaltungsvorschriften —
von denen Art. 7, Ziff. 2 allein spricht — sondern revisible Privat-
rechtsnormen°).
Der Bundesrat selbst stützt seine Zuständigkeit auch weder auf
eine im Handelsgesetzbuch enthaltene Delegation noch auf Art. 7 der
Reichsverfassung‘), sondern auf Art. 45. Dieser Artikel erwähnt den
Bundesrat aber überhaupt nicht; er erteilt ihm keinerlei Ermäch-
tigung; er legt dem Reiche nur die Pflicht auf, »dahin zu wirken«,
daß Betriebsreglements eingeführt werden, und er bezeichnet mit diesem
Ausdruck etwas, was nach seinem juristischen \Wesen und seiner recht-
lichen Bedeutung von der Eisenbahn-Verkehrsordnung grundrverschie-
den gewesen ist. Aus diesen Gründen ergibt sich der unabweisbare
Schluß, daß die Eisenbahn-Verkehrsordnung rechtsungültig ist’), d. h.
1) Auf die Unzuträglichkeiten, welche hieraus entstehen müssen, ist bereits von
Mittelstein, Eisenbahnrechtl. Entsch. und Abhandlungen Bd. 13, S. 173fg., und
von Pappenheim, Das Transportgeschäft nach dem Entw. eines Handelsgesetz-
buchs 1896 S. 21 fg. hingewiesen worden. Vgl. auch Eger a.a. O. Note 39 und
Düringer-Hachenburg, Handelsgesetzb. 2. Aufl., Bd.3, S. 9285.
2) In derselben Art wie das Binnenschiffahrtsgesetz und die das Seerecht be-
treffenden Gesetze das Handelsgesetzbuch nicht ausführen, sondern ergänzen, und
so wie die Grundbuchordnung keine Ausführungsverordnung zum BGB. ist, sondern
selbständige privatrechtliche Normen enthält.
3) Die Verkehrsordnung enthält allerdings nicht nur Privatrechtsregeln, sondern
auch reglementarische Betriebsvorschriften; die hier folgenden Erörterungen beziehen
sich nur auf die in der Verkehrsordnung enthaltenen privatrechtlichen, die Fracht-
verträge der Eisenbahnen betreffenden Regeln. Dai} die letzteren ihren juristischen
Charakter dadurch nicht ändern, daß sie mit reglementarischen Dienstvorschriften
vermengt werden, ist unbestreitbar. Es würde zweckmäßig und vom Standpunkt des
Verfassungsrechts aus erforderlich sein, die privatrechtlichen und die reglementa-
rischen und polizeilichen Anordnungen der Verkehrsordnung voneinander zu trennen;
die ersteren bedürfen der Gesetzesform, die letzteren sind dazu ganz ungeeignet und
erfordern fortwährend Abänderungen und Ergänzungen.
4) Alsdann hätte der Bundesrat auch der von ihm beschlossenen Verkehrsordnung
Geltung für das ganze Bundesgebiet mit Einschluß Bayerns beilegen müssen, was
wahrscheinlich vermieden werden sollte. Seydel, Bayr. Staats. Bd. 3, S. 707, sagt
mit Bezug auf einen anderen Fall sehr treffend, „wenn etwa ein Reichsgesetz dem
Bundesrate den Erlaß von Rechtsverordnungen anheimgeben würde, ein
Fall, der nicht unter Art. 7 der Reichsverfassung gehört, so würden solche Verord-
nungen, weilinhaltlich Gesetze,auch für Bayern gelten“.
5) Ich habe dies bereits in der deutschen Juristenzeitung Bd. 5 (1899), S. 509 ff.
entwickelt; meine Ausführungen sind, wie zu erwarten war, von verschiedenen Ge-
sichtspunkten aus angegriffen worden. Bornhak im Preuß. Verwaltungsbl. Jahrg. 22,
S. 188 ist zwar mit meinen staatsrechtl. Ausführungen einverstanden und erkennt an,
daß die Verkehrsordnung niemals als Verwaltungsvorschrift angesehen werden könne;
er bestreitet ihr aber auch den Charakter als Rechtsnorm; sie seinach wie vor
lediglich Vertragsfestsetzung und nicht revisibel. Dies steht:
aber sowohl mit dem Inhalt des Handelsgesetzbuchs, als den zur Auslegung des-