Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 78. Die Gewerbepolizei. 239 
stand freier Uebereinkunft.« Die reichsgesetzlichen Beschränkungen 
sind allerdings so zahlreich und so tief eingreifend, daß der Spielraum 
für die »freie« Uebereinkunft der Parteien sehr verringert ist; der Grund- 
satz hat aber eine bedeutende staatsrechtliche Tragweite. Indem er 
nur die reichsgesetzlichen Beschränkungen vorbehält, setzt er alle 
landesgesetzlichen Beschränkungen außer Kraft und beseitigt 
die Zuständigkeit der Einzelstaaten, Beschränkungen dieser Art durch 
Landesgesetz einzuführen oder aufrecht zu erhalten. Auch hier erlei- 
det dieser Grundsatz aber dieselbe Einschränkung wie hinsichtlich des 
Rechts zum Gewerbebetrieb (siehe oben S. 209), d. h. er erstreckt sich 
nur auf diejenigen Vorschriften, welche das gewerbliche Arbeitsver- 
hältnis speziell betreffen, läßt dagegen die landesgesetzlichen Vorschrif- 
ten allgemeiner Art, die aus Rücksichten der Gesundheits-, Sittlich- 
keits-, Feuer-, Baupolizei usw. getroffen sind, insoweit unberührt, als 
nicht die gleiche Materie durch die Gewerbeordnung oder ein anderes 
Reichsgesetz ausschließend geregelt ist. 
Die Bestimmungen der Gewerbeordnung betreffen nicht nur das 
Gebiet der Gewerbepolizei, sondern sie regeln auch in sehr eingehen- 
der Weise den zivilrechtlichen Inhalt des Arbeitsvertrages zwi- 
schen den selbständigen Gewerbetreibenden und seinen Gehilfen, 
Lehrlingen und Arbeitern. Die Frage über das Verhältnis dieser Be- 
stimmungen zu den partikulären Zivilrechten ist durch den Er- 
laß des Bürgerlichen Gesetzbuchs fortgefallen!. Dem Bürgerlichen 
Gesetzbuch gegenüber haben die Anordnungen der Gewerbeordnung 
als der lex specialis den unbedingten Vorrang; für die Handelsgewerbe 
kommen außer der Gewerbeordnung die Vorschriften des Handelsge- 
setzbuchs über Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge (HGB. 8 59 
bis 83) zur Anwendung. Das Bürgerliche Gesetzbuch findet jedoch auch 
auf die Verhältnisse der gewerblichen Arbeiter Anwendung, insoweit 
die allgemeinen Grundsätze über den Dienstvertrag (BGB. $ 611 ff.) nicht 
durch spezielle Bestimmungen der Gewerbeordnung ausgeschlossen 
sind; ferner hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit, der Voraussetzungen 
der Gültigkeit der Rechtsgeschäfte, der Vormundschaft über Minder- 
jährige, der Haftung für Schadenersatz, der rechtlichen Stellung der 
Ehefrauen?). 
Die Vorschriften der Gewerbeordnung über das obligatorische 
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter sind zum großen Teile 
zwingender Natur; sie enthalten nicht den normalen Inhalt des 
1) Dagegen ist das öffentliche Recht der Bundesstaaten vom Bürgerlichen Ge- 
setzbuch im allgemeinen unberührt geblieben. 
2) Vgl. Neukamp, Das Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Reichs- 
gewerbeordnung. Im Verwaltungsarchiv Bd. 5, S. 209 ff. Die durch Art. 36 des Einf.- 
Ges. zum Bürgerlichen Gesetzbuch angeordneten Fassungsänderungen der Gewerbe- 
ordnung, um die Bestimmungen derselben mit den familienrechtlichen Vorschriften 
des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Einklang zu bringen, sind in der Redaktion der 
Gewerbeordnung vom 26. Juli 1900 berücksichtigt worden.
	        
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