308 8 82. Die Arbeiterversorgung. Unfallversicherung.
so weit zu kürzen, daß das gesamte Krankengeld des Mitgliedes den
Durchschnittsbetrag seines täglichen Arbeitsverdienstes nicht übersteigt;
jedoch kann die Satzung die Kürzung ganz oder teilweise aus-
schließen. $ 189 ').
V. Die Unfallversicherung*).
1. Die Reichsgesetzgebung geht von dem Gedanken aus, daß der
Betriebsunternehmer, welcher Arbeiter beschäftigt, um sich den öko-
nomischen Wert ihrer Arbeitsleistungen anzueignen, ihnen nicht nur
den dafür bedungenen Lohn schuldet, sondern auch ihnen gegenüber
die mit der Arbeit verbundene Unfallgefahr tragen muß. Dieser Ge-
danke ist aber nicht zu einem Privatrechtssatz gestaltet, welcher
das aus dem Arbeitsvertrage hervorgehende Rechtsverhältnis regelt;
sondern die Fürsorge für den von einem Betriebsunfall betroffenen
Arbeiter oder dessen Hinterbliebene ist zu einer dem Staat obliegen-
den Aufgabe gemacht, welche mit den Mitteln und in den Formen des
öffentlichen Rechts durchgeführt wird. Der Anspruch des Arbeiters
auf Fürsorge ist daher völlig unabhängig von dem Abschluß und den
Vereinbarungen des Arbeitsvertrages; er tritt ein, wenn es an einem
solchen Vertrage gänzlich fehlt, und er kann durch denselben weder
abgeändert noch ausgeschlossen werden. Ebensowenig ist der Ver-
sorgungsanspruch durch ein Verschulden des Arbeitgebers und seiner
Angestellten bedingt und er wird selbst durch das eigene Verschulden
des Arbeiters, sofern derselbe nicht den Betriebsunfall vorsätzlich
herbeigeführt hat, nicht ausgeschlossen. Die Pflicht zur Fürsorge ist
auch keine Legalobligation oder sogenannte »Zustandsobligation« des
Arbeitsgebers gegen seine Arbeiter; denn sie stehen sich nicht als
Schuldner und Gläubiger gegenüber, und sie haben keine Dispositions-
befugnis über den Versorgungsanspruch und die Zahlungsverpflichtung.
Die Arbeiter oder ihre Hinterbliebenen empfangen vielmehr die ihnen
gebührenden Beträge von einem vom Reich oder Staat bestellten »Träger«
der Fürsorgepflicht, welcher mitihnen in gar keinem privatrechtlichen
Verhältnis steht, sondern bei der Feststellung der sogenannten Ent-
schädigung und der Bewirkung ihrer Zahlung eine durch Befehl des
Reichs ihm übertragene öffentlicheVerwaltungstätigkeit
verrichtet (siehe S. 289 fi.).
Demgemäß ist auch die Verpflichtung des Betriebsunternehmers
zur Zahlung von Entschädigungsgeldern keine ihm von Rechts wegen
1) Vgl. Kaskel und Sitzler, Soz. Versicherungsr. S. 161 ff.
* Literatur: Außer den S. 286 zitierten Werken: Piloty, Arbeiterver-
sicherungsgesetze, 2. Bd., 1908; Handbuch der Unfallversicherung, be-
arbeitet von Mitgliedern des Reichsversicherungsamts, Leipzig. 3. Aufl., 3 Bde., 1909
bis 1911. Die Kommentare zu den älteren Unfallversicherungsgesetzen sind durch
die Gesetze von 1900 zum großen Teil veraltet. Neubearbeitungen nach diesen Gesetzen
von Woedke, Gewerbeunfallversicherungsgesetz, 5. Aufl. 1901; Graef, 4. Aufl. 1904.