Metadata: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

seitigt. Die Ausübung einer geistlichen Gerichts- 
barkeit für das Gewissensgebiet wird von dieser 
staatlichen Kompetenz nicht berührt. Dasselbe gilt 
von den nach der neueren Rechtsentwicklung der 
staatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit unterstell- 
ten öffentlichen Rechtsverhältnissen ge- 
mischt weltlicher und kirchlicher Natur, wie z. B. 
Simultanverhältnisse an Kirchen und Kirchhöfen 
(oben S. 527), Zugehörigkeit zu einem Kirchen- 
gemeindeverband, Ausübung kirchlich politischer 
Rechte, Verpflichtung zu öffentlich rechtlichen Ver- 
mögensleistungen und vieles andere. Das Par- 
tikularrecht bictet hinsichtlich des Umfangs der 
staatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit anf kirchen- 
rechtlichem Gebict ein überaus buntes Bild. 
Delicta mixti fori, also eine Konkurrenz 
der Kirche mit der staatlichen Strafgerichtsbar- 
keit gibt es nicht mehr. Die Kirchendiener unter- 
stehen für alle nach staatlichem Recht strafbaren 
Handlungen der staatlichen Strasgewalt. Auch 
diesen Vorbehalt haben viele deutsche Staaten 
bei Neuordnung ihres Aufsichtsrechts über die 
Kirche (K 
irchenhoheit) 
gebildet. Gewisse Formen, wie beispielsweise Be- 
schränkungen des Verkehrs mit den geistlichen 
Oberen, namentlich der Bischöfe mit dem Papst, 
sind längst beseitigt. Andere mit einer Jahrhun- 
derte alten Geschichte haben sich bis in die Gegen- 
wart erhalten, namentlich das Plazet'l und 
die Temporaliensperre. 
Temporaliensperre ist die Einbehaltung der aus staatli- 
cher Quelle fließenden Amtseinkünfte von Kirchendienern, 
sei es bei Verweigerung des staatlichen Gehorsams im all-. 
gemeinen, sei es zur Erzwingung einer einzelnen Maßregel. 
Für die Anwendbarkeit der Temporaliensperre ist dic recht- 
liche Natur der zu sperrenden Amtseinkünfte entscheidend. 
Kirchen ausdrücklich ausgesprochen. Dies gilt hier- 
nach insbesondere auch für die Standesde- 
likte, delicta propria der Kirchendiener. Das 
Landesrecht ist bei ihrer Aufstellung insoweit be- 
teiligt, als in ihm spezielle Strafbestimmungen in 
den Aufsichtsgesetzen uber Ausübung der Kirchen- 
ämter, Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt, 
Plazet und sonstige Veranstaltungen der Staats- 
aufsicht erlassen sind. Aber auch das Reichsrecht 
hat eine Anzahl solcher deliktischer Tatbestände 
aufgestellt. Es gehören hierher namentlich die 
Gefährdung des öffentlichen Friedens (Sten 
§+ 130 a), unzüchtige Handlungen (§ 174), qualifi- 
zierte Kuppelei (3181), Mitwirkung bei Schließung 
einer Doppelehe (§5 338), Trauung ohne Nachweis 
der Eheschließung (Personenstands"es v. 1875, 8 67 
vrb. Bi(783 Es# a 46). Personenstand.) 
e) Die Oberaufsicht äußert sich regierend 
in fortlaufender administrativer Be- 
aufsichtigung. Das Sachgebiet dieser 
Aufsichtsübung deckt sich mit dem Sachgebiet der 
Staatskirchengesetzgebung. Kirchenverfassung .7), 
Kultusentfaltung, N Vermögensverwaltung Mi, 
kirchlichen Straf= und Zuchtgewalt, Beteiligung der 
Kirche an den Aufgaben der Staatspflege, Rechts- 
schutz der bürgerlichen und Gewissensfreiheit (C.. Die 
Organe dieser Aussichtsübung sind die staatlichen 
Verwaltungsbehörden in dem durch 
die Verw Organisation der Einzelstaaten geordne- 
ten Instanzenzug. An oberster Stelle stehen 
die Kultusministerien / Behörden, 1, 
§ 394, 395). In den einzelnen preußischen Pro- 
vinzen sind die Oberpräsidenten, unter diesen in 
den Regierungsbezirken die Reg Präsidenten sowie 
unter deren Vorsitz die kollegialischen Bezirkore- 
gierungen, Abt. für Kirchen= und Schulangelegen- 
heiten, die zur administrativen Wahrung der staat- 
lichen K## berusenen Behörden. Vollzugsorgane 
sind die Kreis= und Lokalbehörden der Landkreise 
und der Städte (in Berlin Pol Präsident). Analog 
in den übrigen deutschen Staaten je nach Gliede- 
rung der Behörden (7.) der inneren Staatsver- 
waltung. TDie Formen und Mittel der 
administrativen Aufsichtsübung über die Kirchen 
und Religionsgesellschaften sind teils dic der allge- 
meinen Staatsverwaltung, teils unter dem be- 
sonderen Gesichtspunkt der N# entstanden und aus- 
Beruhen solche auf privatrechtlichem Titel, so kann die 
Temporaliensperre nur auf Grund besonderer gese . 
licher Ermächtigung zulässig sein. So in Bavern, wo die- 
ses Zwangsmittel eben zur Durchführung des Plazet durch 
Jahrhunderte in unbestrittener Uebung stand und nach 
richtiger Ansicht noch heute auf Grund der im Religions- 
edikt 58 aufrechterhaltenen Gencralmandate in Geltung 
steht. Beruhen dagegen die Amtseinkünfte auf öffentlich- 
rechtlichem Titel, so ist die Verhängung der Temporalien- 
sperre auf administrativem Wege zulässig. So nach 
mehrfachen richterlichen Entsch die Rechtslage in Preußen 
für diejenigen Staatsleistungen an die katholische Kirche, 
welche auf der Zirkumskriptionsbulle De salute anlmarum 
I1 Konkordate) beruhen. 
Während das gesetzgeberische und richterliche 
Oberaufsichtsrecht nur bei bestimmt gegebener 
Veranlassung in Wirksamkeit treten, bildet das 
administrative jus inspiciendi cavendi die stetige 
und ununterbrochene Verrichtung der obrigkeit- 
lichen Gewalt in Beziehung auf das Religions= und 
Kirchenwesen im Staat. Es tritt von Amts wegen 
oder auf erhobene Beschwerde gegen Verfügungen 
der Kirchengewalt, welche die ihr gezogenen Gren- 
zen überschreiten, ein. 
Diese Beschwerde ist der sog. re curs us ab abuan, 
oder die Beschwerde wegen Mißbrauchs der geistlichen 
Amtsgewalt. Vom französischen NRecht (appel comme 
(’adus) entlehnt, war schon im älteren Deutschen Reich die 
Statthaftigkeit dieses Rekurses an den Kaiser oder die Reichs- 
gerichte grundsätzlich anerkannt. Nach Auflösung des Reiches 
hat das Znstitut sich partikularrechtlich weitergebildet. 
Vorbehaltslos ist der recursus al abusu in Bayern 
(MRel. Ed. 52, 53) anerkannt. Er findet sich auch in den Ver- 
fassungen von Sachsen, Hessen und anderen Staaten. 
In Preußen war er zwar nach ALR (II, 11 456) und 
dem Gv. 12. ö. 73 anerkannt. Die kirchenpolitische Novelle 
v. 21. 5. 86 hat aber das letztere Gesetz in seinen hier ent- 
scheidenden Teilen wieder außer Wirksamkeit gesetzt. Es 
besteht also hier der recursus ab abusu nicht mehr als ein 
auf dem besonderen Boden der K# ruhendes nstitut, son- 
dern er ist in die allgemeine Verwaltungs- 
beschwerde auf. und übergegangen. 
§ 4. Das Schutzrecht des Staats. Das staat- 
liche Jus advocatiac hat nach Ablösung von seinen 
in der Kaiserlichen Advokatie des Mittelalters ge- 
legenen geschichtlichen Wurzeln in dem gegenwärti- 
gen System der K. eine zweifache Richtung: als 
Inbegriff derienigen staatlichen Tätigkeiten, mit- 
tels deren der Staat durch Schutz und För-• 
derung des Kirchenwesens sein Anerkenntnis 
von dem Werte desselben für ihn selbst und das 
Volkswohl zum Ausdruck bringt. Ferner aber auch 
als Gesamtheit derjenigen Tätigkeiten, die der 
Staat zur Wahrung des Rechtsfriedens der Kir- 
chen= und Religionsgesellschaften im Verhältnis
	        
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