Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 397 
Privatgerichten. Hierdurch sind alle in Deutschland noch vor- 
handen gewesenen Reste einer patrimonialen, kommunalen oder kirch- 
lichen Gerichtsbarkeit !') definitiv und vollständig beseitigt, und auch 
für die Zukunft ist es den Staaten untersagt, Rechte dieser Art zu er- 
teilen ?). Dasselbe gilt von dem Präsentationsrecht für Anstellungen 
bei den Gerichten, das sich als ein Rest der ehemaligen Privatgerichts- 
barkeit vielfach, namentlich zugunsten der Standesherren, erhalten 
hatte. Demnach ist die Anzahl der Subjekte, welchen die ordentliche 
streitige Gerichtsbarkeit zusteht, durch die im Art. 1 der Reichsver- 
fassung gegebene Aufzählung der Staaten, zu denen noch das Reich 
selbst nebst dem Reichslande Elsaß-Lothringen hinzukommt, abschlie- 
Bend begrenzt °). Dagegen ist es den deutschen Staaten unbenommen, 
untereinander Verträge zu schließen, durch welche ein Staat die 
Gerichtsbarkeit ganz oder zum Teil einem anderen Bundesstaat oder 
auch dem Reich zur Ausübung überträgt‘. Es können unter den 
Staaten nach Analogie der Militärkonventionen oder der Vereinbarun- 
gen über die Postverwaltung auch Gerichtskonventionen ge- 
schlossen werden. Insbesondere können auch zwei oder mehrere 
deutsche Staaten sich zur gemeinschaftlichen Ausübung der 
Gerichtsbarkeit vereinigen und zu diesem Zwecke gemeinschaftliche 
Gerichte bestellen; es ist dies in zahlreichen Fällen teils wegen der 
geographischen Lage, teils wegen der Kleinheit der einzelnen Staats- 
gebiete geschehen °.. Demgemäß gibt es zwei Arten von Gerichtskon- 
ventionen; durch die einen wird die Ausübung der Gerichtsbarkeit in 
gewissem Umfange einem anderen Staate übertragen, durch die anderen 
werden Gerichtsgemeinschaften vereinbart. 
Gerichtskonventionen der ersteren Art sind lediglich zugunsten 
Preußens abgeschlossen worden. Die Gerichtsbarkeit im Fürsten- 
tum Waldeck‘) und den fürstlich lippeschen Enklaven Lipperode 
1) Eine Uebersicht über die durch das Gerichtsverfassungsgesetz beseitigten 
Reste der Privatgerichtsbarkeit geben die Motive S. 47 ff. (Hahn S. 58 ff.) 
2) Der reichsgesetzlich sanktionierte Grundsatz bezieht sich aber nur auf die 
ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. Auch die Gewerbe- und die Kaufmannıs- 
gerichte sind Staatsgerichte, obgleich sie in der Regel von den Gemeinden errichtet 
werden und diesen die Kosten aufgebürdet sind; denn die Gemeinden errichten und 
erhalten diese Gerichte in Ausführung einer ihnen reichsgesetzlich zugewiesenen Auf- 
gabe und die Gerichte haben eine vom Reich ihnen übertragene Zuständigkeit. Das- 
selbe gilt entsprechend von den Schiedsgerichten der Arbeiter- und Angestellten- 
Versicherung. Rosin, Arbeitervers. Bd. I, S. 732, Bd. II, S. 258. 
3) Auch die Ansprüche des Hauses Schönburg auf Ausübung eigener Ge- 
richtsbarkeit wurden nicht anerkannt. Vgl. die Protokolle der Reichstagskommission 
I. Lesung, S. 130 ff. (Hahn S. 414.) Stenogr. Berichte des Reichstages 1876/77, S. 207 ff. 
(Hahn S. 1166 ff.) 
4) Ausführlich verbreitet sich hierüber John], S. 176 ff. 
5) Vgl. Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 81. (Hahn S. 47.) 
6) Auf Grund des Vertrages vom 24. November 1877 und des Waldeckschen Ge- 
setzes vom 1. September 1879 (Regierungsbl. S. 79).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.