Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 85. Die Gerichtsbarkeit der Einzelstaaten. 403 
3. Die Einzelstaaten sind verpflichtet, die ordentliche streitige Ge- 
richtsbarkeit nach den im Gerichtsverfassungsgesetz und den Prozeß- 
ordnungen gegebenen Vorschriften zu handhaben. Die Ueberwachung 
der Einzelstaaten, daß sie dieser Verpflichtung nachkommen, liegt dem 
Kaiser ob, welche er vermittelst des dem Reichskanzler unter- 
stellten Reichsjustizamtes bewirkt‘. Wenn hierbei Mängel hervor- 
treten, deren Abstellung die Regierung des Einzelstaates trotz einer An- 
regung des Reichskanzlers verweigert, so entscheidet der Bundesrat 
über die richtige Auslegung und Handhabung der Reichsgesetze ?). Für 
die Gerichtsbarkeit gelten keine, von diesen allgemeinen Prinzipien 
abweichende Regeln, und es ist demnach hier einfach auf die Erörte- 
rungen zu verweisen, welche Bd. 1, S. 107 ff. und Bd. 2, S. 206 ff. ge- 
geben worden sind. Nur ist es selbstverständlich, daß, soweit die Re- 
sierungen der Einzelstaaten nicht befugt sind, auf die Tätigkeit der Ge- 
richte einzuwirken, auch der Reichskanzler nicht befugt ist, den Regie- 
rungen gegenüber unter Berufung aufdas kaiserliche Beaufsichtigungsrecht 
eine Kontrolle und Kritik über die Handhabung der Gerichtsbarkeit aus- 
zuüben oder die Unabhängigkeit der Gerichte anzutasten. Die Zustän- 
digkeit des Reichskanzlers und eventuell des Bundesrates ist im we- 
sentlichen auf die Beaufsichtigung der Justizverwaltung beschränkt, 
insbesondere darauf, daß in den Einzelstaaten die im Gerichtsverfas- 
sungsgesetz vorgezeichneten Behördenorganisationen wirklich durchge- 
führt, die erforderlichen Gerichte, Staatsanwaltschaften usw. errichtet 
und mit qualifizierten Beamten besetzt werden, und daß die Gerichte 
bei ihren Amtsverrichtungen vor unerlaubten Einwirkungen der Ver- 
waltungsbehörden u. dgl. gewahrt bleiben. Der Fall einer Justiz- 
verweigerung kann auf dem Gebiet der ordentlichen streitigen 
Gerichtsbarkeit seit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze nicht 
leicht vorkommen; sollten unvorherzusehende Umstände ihn dennoch 
herbeiführen, so würde gemäß Art. 77 der Reichsverfassung der Bun- 
desrat die Beschwerde zu prüfen und die Abhilfe zu bewirken haben °). 
I. Die reichsgesetzlich nicht normierte Gerichts- 
barkeit. 
Das gesamte Gebiet der Gerichtsbarkeit, welches nicht unter die 
Kriterien der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit fällt, oder durch 
besondere Reichsgesetze geregelt ist, wie die Militärgerichte, die Gewerbe- 
und Kaufmannsgerichte, die Arbeiter- und Angestelltenversicherungsge- 
richte, ist der freien Autonomie und Verwaltung seitens der Einzel- 
staaten überlassen, wobei allerdings die Reichsgesetze über Strafrecht, 
bürgerliches Recht und über die Angelegenheiten der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit und über die verschiedenen Gebiete des öffentlichen 
1) Reichsverfassung Art. 17. 2) Reichsverfassung Art. 7, Ziff. 3. 
3) Siehe Bd. 1, S. 268.
	        
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