8 86. Die Gerichtsbarkeit des Reichs. 405
8 86. Die Gerichtsbarkeit des Reichs.
I. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit.
Unter den im $ 12 des Reichsgesetzes aufgeführten ordentlichen Ge-
richten befindet sich auch ein Gericht des Reiches, das »Reichsgericht«.
Da nun die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit diejenigen bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen begreift, welche den ordentlichen Ge-
richten zugewiesen sind, so ist die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit des
Reiches identisch mit der Zuständigkeit des Reichsgerichts
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen,
gleichviel, durch welches Gesetz die Zuständigkeit des Reichsgerichts
begründet ist, und gleichviel, welches Verfahren von dem Reichsge-
richt zu befolgen ist. Diesem Begriffe gemäß erstreckt sich die ordent-
liche streitige Gerichtsbarkeit des Reiches auf folgende Gegenstände:
1. Inbürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auf die Ent-
scheidung
a) über die Rechtsmittel der Beschwerde und der Berufung gegen
die Entscheidungen der Reichskonsuln und Reichskonsu-
largerichte));
b) über die Rechtsmittel der Revision gegen die Endurteile der
Oberlandesgerichte°?).
Es ergibt sich hieraus, daß die einschränkenden Voraussetzungen,
unter denen das Rechtsmittel der Revision gestattet ist, zugleich ebenso
viele Einschränkungen der Gerichtsbarkeit des Reiches sind und das
Verhältnis derselben zur Gerichtsbarkeit der Einzelstaaten bestimmen.
Die Voraussetzungen der Revision sind aber von zweifachem Charakter,
teils sind sie rein prozeßrechtlicher Natur, teils haben sie eine
staatsrechtliche Bedeutung und stehen mit dem Verfassungs- und
Rechtszustande des Reiches in Zusammenhang. Rein prozeßrecht-
lich sind die Vorschriften, daß die Revision nur stattfindet gegen die
in der Berufungsinstanz von den Oberlandesgerichten erlas-
senen Endurteile °), das Reichsgericht also nur in dritter Instanz ent-
scheidet; ferner, daß sie nicht auf unrichtige Feststellung oder Beur-
1) Konsulargerichtsbarkeitsgesetz vom 7. April 1900, $ 14, Ziff. 1. Vgl. unten
sub. II.
2) Gerichtsverfassungsgesetz 8 135. Ueber die für Bayern bestehende nicht mehr
sehr erhebliche Ausnahme siehe oben S. 401fg. Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz
war das Reichsgericht auch zuständig zur Entscheidung über Beschwerden gegen
Entscheidungen der Oberlandesgerichte; das Reichsgesetz vom 22. Mai 1910 (Reichs-
gesetzbl. S. 767) hat aber das Reichsgericht hiervon entlastet und demgemäß die
Fassung des $ 135 und der $$ 545, 567, Abs. 2 der Zivilprozeßordnung abgeändert.
Auch wurde über Urteile, durch welche über die Anordnung, Abänderung oder Auf-
hebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, die Re-
vison für nicht zulässig erklärt.
3) Zivilprozeßordnung 8 545.