Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

406 8 86. Die Gerichtsbarkeit des Reichs. 
teilung des Tatbestandes gestützt werden kann; über die Begründung 
der Revision sowie das Erfordernis der sogenannten Revisions- 
summe (Betrag des Streitgegenstandes von 4000 Mark) '). Dieselben 
Vorschriften können in den Prozeßordnungen aller Staaten mit den 
verschiedensten Verfassungen, namentlich auch im Einheitsstaate, gel- 
ten: sie beruhen ausschließlich auf technisch-prozessualen Rücksichten 
und geben zu einer staatsrechtlichen Erörterung keinen Anlaß. An- 
ders verhält es sich mit dem von der Reichsgesetzgebung für das 
Rechtsmitiel der Revision aufgestellten Erfordernis, daß dasselbe nur 
darauf gestützt werden kann: 
»Daß die Entscheidung auf der Verletzung eines Reichs- 
gesetzes oder eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich über 
den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, beruhe« ?). 
Es besteht hiernach ein Unterschied zwischen Reich s gesetzen 
und Landesgesetzen (partikulären Rechtsnormen); die behauptete 
Verletzung der ersteren genügt unbedingt zur Begründung der Revision, 
die Verletzung der letzteren nur dann, wenn ihr Geltungsbereich sich 
über den Bezirk des Berufungsgerichts — also über einen Oberlan- 
desgerichtsbezirk — hinaus erstreckt ?). Diese Unterscheidung beruht 
auf dem verschiedenartigen Interesse, welches das Reich an der gleich- 
mäßigen Auslegung und Handhabung der Gesetze hat. Insoweit das 
Reich den Rechtszustand im ganzen Bundesgebiet einheitlich geregelt 
hat, darf diese Einheit nicht durch eine abweichende Auslegung der 
Landesgerichte teilweise aufgehoben oder in Frage gestellt werden, 
sondern es muß eine für das ganze Bundesgebiet maßgebende richter- 
liche Instanz zur Wahrung der Einheit bestehen. Dieselben Gründe, 
welche zur Errichtung des Reichsoberhandelsgerichts und zur allmäh- 
lichen Ausdehnung seiner Kompetenz führten, rechtfertigen die gesetz- 
liche Anerkennung des allgemeinen Grundsatzes, daß die Auslegung 
eines Reichsgesetzes zur Entscheidung des Reichsgerichts gebracht 
werden könne. Für diejenigen Materien aber, für welche das Reich 
einen einheitlichen Rechtszustand nicht hergestellt, sondern die Viel- 
gestaltigkeit der Partikularrechte fortbestehen gelassen hat, besteht für 
das Reich kein Interesse daran, wie diese Gesetze ausgelegt werden, 
wohl aber, daß nicht widersprechende Auslegungen derselben Rechts- 
normen sich behaupten können, ohne daß in der Gerichtsverfassung 
1) Zivilprozeßordnung 8 546 in der Fassung des Reichsgesetzes vom 22. Mai 1910. 
Ausnahmen ebendaselbst $ 547 in Verbindung mit Gerichtsverfassungsgesetz $ 70, 
Abs. 2. Bei Streitigkeiten um die sachliche Unzuständigkeit des Gerichts ist aber 
nach dem Gesetz von 1910 die Revision nicht mehr zulässig, sondern nur noch, wenn 
es sich um die Unzulässigkeit des Rechtswegs oder der Berufung handelt. Vgl. 
auch das Zuwachssteuergesetz vom 14. Februar 1911 $ 46, Abs. 4 (Reichsgesetzbl. 
S. 48). 
2) Zivilprozeßordnung S 549. 
3) Vgl. hierzu die kritischen Erörterungen von John in der Zeitschrift für die 
deutsche Gesetzgebung etc. von Behrend und Dahn VII, S. 161 ff.
	        
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