Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 87. Die Verpflichtung zur Rechtshilfe. 415 
meinrechtlichen Prozeßordnung zum Teil überflüssig, zum Teil unan- 
wendbar geworden, und soweit sie noch praktische Bedeutung behalten 
haben, sind sie in die Reichsjustizgesetze, insbesondere in das Gerichts- 
verfassungsgesetz, übergegangen. Das Gesetz vom 21. Juni 1869 regelt 
aber die gegenseitige Rechtshilfe in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten 
und in Strafsachen ohne Unterscheidung und Einschränkung, während 
das Gerichtsverfassungsgesetz und die Prozeßordnungen nur für die 
ordentliche streitige Gerichtsbarkeit Geltung haben'). Die Vor- 
schriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Rechtshilfe sind aber 
ausgedehnt worden auf die Anträge der Seeämter durch das Gesetz 
vom 27. Juli 1877, 8 20 (Reichsgesetzbl. S. 553); auf die Gewerbe- 
gerichte durch das Reichsgesetz vom 30. Juni 1901, $ 61 und die 
Kaufmannsgerichte (Gesetz vom 6. Juli 1904, $ 16); auf das 
Patentamt durch das Patentgesetz vom 7. April 1891, 8 32°); auf 
die Konsulargerichte durch das Gesetz vom 7. April 1900, 8 18 
(Reichsgesetzbl. S. 217); auf die Schutzgebietsgerichte durch das 
Gesetz vom 25. Juli 1900, Art. 1, 8 2, auf die Militär- undMarine- 
gerichte durch das Einführungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung 
88 11fg.;, auf die Prisengerichte durch die Verordnung vom 
15. Februar 1889, 8 29 (Reichsgesetzbl. S. 10); auf die reichsgesetzlich 
geregelten Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
durch das Gesetz vom 17. Mai 1898, 8 2. 
Außerdem ist die Verpflichtung zur Rechtshilfe reichsgesetzlich an- 
geordnet worden in Sachen der Arbeiter- und Angestelltenversicherung 
und zwar nicht nur hinsichtlich der Gerichte, sondern aller öffent- 
lichen Behörden und der Organe der Versicherungsträger (Reichs- 
versicherungsordnung 8 115, Versicherungsgesetz für Angestellte 
8 322) und bei Einziehung von Abgaben und Vollstreckung von Ver- 
mögensstrafen durch das Gesetz vom 9. Juni 1895 (Reichsgesetzbl. 
S. 2586). Auch sind die Gerichte verpflichtet, dem Reichsaufsichtsami 
für Privatversicherung Rechtshilfe zu leisten (Reichsgesetz vom 12. Mai 
1901, 8 79) und dem Ersuchen des Börsenehrengerichts und der Be- 
rufungskammer um Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen 
zu entsprechen (Börsengesetz 8 26). 
Hiernach sind hinsichtlich der Rechtshilfe drei Kategorien von An- 
gelegenheiten zu unterscheiden: diejenigen, auf welche die Vorschriften 
des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Prozeßordnungen Anwendung 
finden; sodann diejenigen, für welche die Gesetze von 21. Juni 1869 
und vom 9. Juni 1895 Geltung haben ;; endlich diejenigen, für welche 
reichsgesetzlich eine Pflicht zur Rechtshilfe nicht besteht, sondern die 
landesgesetzlichen Vorschriften und die unter den Bundesstaaten ab- 
1) Vgl. Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 189 (Hahn S. 167). 
2) Siehe Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 33, S. 413, Bd. 64, 
S. 178.
	        
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