426 $ 88. Die Gerichtsverfassung.
In dritter Instanz erkennt auf das Rechtsmittel der Revision
ein Zivilsenat des Reichsgerichts!) in der Besetzung von
sieben rechtsgelehrten Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden ?).
2. Strafsachen.
Die Straffälle sind in Beziehung auf die Gerichtszuständigkeit in
drei Klassen zu teilen, zu denen noch als eine besondere Ausnahms-
klasse die zur ausschließlichen Zuständigkeit des Reichsgerichts ge-
hörenden Fälle des Hochverrats und des Landesverrats gegen Kaiser
und Reich hinzutreten °). Die Einteilung in diese drei Klassen beruht
in der Hauptsache auf der dem materiellen Strafrecht zugrunde liegen-
den Einteilung der strafbaren Handlungen in Uebertretungen, Vergehen
und Verbrechen‘); sie fällt aber mit dieser Einteilung keineswegs voll-
kommen zusammen, vielmehr ist die Zuständigkeit der Gerichte miitt-
lerer und unterster Ordnung erheblich erweitert’). Ihr entsprechen
als Spruchbehörden erster Instanz die Schöffengerichte, die Straf-
kammern und die Schwurgerichte.
a) Die Schöffengerichte sind Kollegien, welche aus einem
gelehrten Richter (Amtsrichter), und zwei Schöffen bestehen‘). Die
letzteren üben im allgemeinen, d. h. insoweit das Gesetz nicht Aus-
nahmen bestimmt”), während der Hauptiverhandlung das Richteramt
in vollem Umfange und mit gleichem Stimmrechte wie der Amtsrich-
ter aus®). Bei Forst- und Feldrügesachen kann die Mitwirkung der
Schöffen durch Anordnung der Landesgesetze ausgeschlossen werden °),
so daß alsdann der Amtsrichter als Einzelrichter entscheidet ; auch kann
der Amtsrichter im Falle der Vorführung des Beschuldigten mit Zu-
stimmung der Staatsanwaltschaft ohne Zuziehung von Schöffen zur
Hauptverhandlung schreiten, wenn der Beschuldigte nur wegen Ueber-
tretung verfolgt wird und die ihm zur Last gelegte Tat eingesteht'®).
Die Zuständigkeit der Schöffengerichte erstreckt sich auf alle Ueber-
tretungen, auf die im 8 27 des Gerichtsverfassungsgesetzes aufgeführten
Vergehen sowie auf diejenigen Strafsachen, deren Verhandlung und
1) In Bayern des obersten Landgerichtshofes nach den oben S. 402 entwickel-
ten Kompetenzbestimmungen.
2) Gerichtsverfassungsgesetz $$ 135, 140.
3) Gerichtsverfassungsgesetz $ 136, Ziff. 1. 4) Reichsstrafgesetzbuch $ 1.
5) Vgl. die ausführlichen Erörterungen hierüber in den Motiven zum Gerichts-
verfassungsgesetz S. 65ff. (Hahn S. 72) und über das positive Recht des Reiches
Löwe zu $ 1 der Strafprozeßordnung; Schwarze in v. Holtzendorffs Handbuch
des Strafprozeßrechts II, S. 555 ff. und die Uebersicht in Bindings Grundriß $ 26.
6) Gerichtsverfassungsgesetz 8 26.
7) Dieselben betreffen lediglich die Entscheidungen über die Zusammensetzung
des Schöffengerichts selbst. Gerichtsverfassungsgesetz &$ 52, 53, 54, 56. Vgl. auch
Strafprozeßordnung $ 31. Da diese Lehre nur ein strafprozessualisches, kein staats-
rechtliches Interesse darbietet. so ist hier nicht näher darauf einzugehen.
8) Ebendaselbst $ 30 und dazu die Motive S. 75 (Hahn S. 80).
9) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung $ 3, Abs. 3.
10) Strafprozeßordnung $ 211, Abs. 2.