430 $ 88. Die Gerichtsverfassung.
streitige Gerichtsbarkeit wird durch Amtsgerichte usw. ausgeübt.« Hier-
durch werden zugleich sehr zahlreiche Zweifel und Streitigkeiten hin-
sichtlich der Zuständigkeit vermieden.
Sodann bietet diese administrative Zusammenfassung der Gerichte
den Vorteil, daß sie eine erhebliche Ersparnis hinsichtlich der Anzahl
der erforderlichen Richter und Beamten ermöglicht, da dieselben Rich-
ter und Beamten an mehreren Spruchkollegien teilnehmen und sich
gegenseitig vertreten, sowie die anderweitigen gerichtlichen Geschäfte
zweckmäßig unter sich verteilen können.
Man darf daher wohl behaupten, daß das gesetzgebungs-politische
und administrative Problem bei der Ordnung der Gerichtsverfassung
gerade darin besteht, die durch prozessualische Rücksichten und Be-
dürfnisse gebotene Vielgestaltigkeit der in den einzelnen Pro-
zessen zur Beschlußfassung und Urteilsfällung erforderlichen Organe
mit einer einfachen Gliederung der Gerichte als Behörden zu ver-
binden. Je mehr nun aber die Gerichtsverfassung als Behördensystem
sich unterscheidet von der Gerichtsverfassung als Prozeßinstitution,
je verschiedener das Gericht als Staatsanstalt von dem Gericht im
Prozeßverfahren ist, desto größere politische und juristische Bedeutung
erlangt die Art und Weise, wie die für den einzelnen Fall oder für
die einzelnen Kategorien von Fällen zuständigen Prozeßgerichte ge-
bildet werden, auf welchem Wege sie aus dem Gerichte als Behörde
hervorgehen.
Dieser Punkt ist für das heutige deutsche Staatsrecht von großer
Wichtigkeit. Das Reich hat einerseits den Einzelstaaten eine sehr aus-
gedehnte Freiheit und Selbständigkeit hinsichtlich der Einrichtung,
Dotierung und Organisation der Gerichtsbehörden überlassen und —
abgesehen natürlich von den eigenen Gerichten des Reichs — nur die
äußersten Grundlinien des Justizbehördensystems gezogen; es hat an-
dererseits aber sehr genaue und zwingende Vorschriften darüber ge-
geben, wie die für die verschiedenen Gattungen von Streitsachen er-
forderlichen, beschließenden und urteilenden Spruchkollegien konsti-
tuiert sind und wie sie aus diesen Behörden gebildet werden. Dies
ist eine der wichtigsten Schranken, welche auf dem Gebiet der Ge-
richtsbarkeit der Hoheit der Einzelstaaten durch die souveräne Staats-
gewalt des Reiches gezogen worden sind'!).
Im einzelnen gelten für die vier Klassen von ordentlichen Ge-
richten folgende Regeln:
1. Die Amtsgerichte?) Sie bilden den Rahmen für den Ein-
zelrichter (Amtsrichter) und die Schöffengerichte.
1) In dem Entwurf der Regierung fanden sich Bestimmungen darüber nicht; die
Aufnahme derselben in das Gerichtsverfassungsgesetz ist vorzugsweise dem Abge-
ordneten Dr. Lasker zudanken. Vgl. Protokoll der Reichstagskommission I. Lesung,
S. 335 ff. (Hahn S. 569); II. Lesung, S. 628 ff. (Hahn S. 794 ff.).
2) Gerichtsverfassungsgesetz 8 22.