& 88. Die Gerichtsverfassung. 431
a) Die Organisation der Amtsgerichte ist den Einzelstaaten
völlig freigegeben; sie haben insbesondere die Befugnis, die Zahl der
Richterstellen an jedem Amtsgericht zu bestimmen. Ist-das Amtsge-
richt mit mehreren Amtsrichtern besetzt, so erledigt jeder derselben
die ihm obliegenden Geschäfte als Einzelrichter. Die Landesjustizver-
waltung hat die allgemeinen Anordnungen über die Geschäftsverteilung
zu treffen. Hierbei kann sie nach Gegenständen oder nach räumlich
begrenzten Bezirken, oder nach beiden Rücksichten zugleich die Ver-
teilung der Geschäfte vornehmen. Wofern den einzelnen Amtsrichtern
bestimmte räumlich abgegrenzte Bezirke zugewiesen werden, entstehen
innerhalb des Amtsgerichtsbezirks mehrere Jurisdiktionsbezirke der
Einzelrichter. Der Bezirk des Amtsgerichts ist also nicht identisch
mit den Gerichtsbezirken der die Rechtsstreitigkeiten entscheidenden
Amtsrichter. Allein die Abgrenzung dieser Amtsrichterbezirke erscheint
lediglich als ein Akt der Geschäftsverteilung, also der Gerichtsverwal-
tung; die Zuständigkeit des Amtsgerichts erstreckt sich als eine ein-
heitliche über sämtliche dazu gehörende Amitsrichterbezirke, und es
kann jederzeit gemäß den von der Justizverwaltung getroffenen Be-
stimmungen unter den bei demselben Amtsgericht angestellten Rich-
tern nicht nur eine gegenseitige Vertretung, sondern auch ein Aus-
tausch der Geschäftskreise stattfinden '. Die Vorschrift: »Niemand
darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden« bedeutet demnach
in betreff der Amtsgerichte, welche mit mehreren Richtern besetzt sind,
nicht einen völligen Ausschluß der Einwirkung der Justizverwaltung
auf die Bestimmung des Richters für den konkreten Fall, sondern nur
eine Beschränkung der freien Auswahl auf die bei dem einzelnen
Amtsgericht angestellten Richter. Wegen der verhältnismäßig geringen
Wichtigkeit der zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Sachen ’)
hat das Reich keine gesetzlichen Vorschriften darüber erlassen, auf
welche Weise aus den Mitgliedern des Amtsgerichts die in den ein-
zelnen Fällen beschließenden und erkennenden Richter bestimmt
werden.
b) Aus demselben Grunde ist die Bestellung von Hilfsrichtern an
den Amtsgerichten vom Reiche an keinerlei erschwerende Bedingung
geknüpft; der Satz des $ 10 des Gerichtsverfassungsgesetzes: »Die
landesgesetzlichen Bestimmungen über die Befähigung zur zeitweiligen
Wahrnehmung richterlicher Geschäfte bleiben unberührt« gilt für die
Amtsgerichte ohne Einschränkung. Demnach steht es den Staaten frei,
zu gestatten, daß die durch Einzelrichter auszuübende Gerichtsbar-
keit, statt einem auf Lebenszeit angestellten Richter, einem auf be-
stimmte oder unbestimmte Zeit beauftragten Kommissarius übertragen
und zu einem solchen Kommissarius jemand bestellt werde, der den
1) Vgl. Motive S. 58 (Hahn S. 67).
2) Durch die neueren Gesetze ist allerdings der den Amtsgerichten zugewiesene
Kreis von Geschäften bedeutend erweitert worden.