8 90. Die Rechtsanwaltschaft. 453
die Form des kontradiktorischen Anklageverfahrens durchgeführt, sie
gestattet ausnahmslos dem Beschuldigten, sich in jeder Lage des Ver-
fahrens eines Verteidigers zu bedienen, sie erklärt für gewisse Sachen
die Bestellung eines Verteidigers für notwendig und sie geht von der
Annahme aus, daß in der Regel Rechtsanwälte zu Verteidigern ge-
wählt oder bestellt werden'). Daß bei den Gerichten Rechtsanwälte
»zugelassen« sind, daß überhaupt Personen vorhanden sind, welche
als rechtsverständige Prozeßbevollmächtigte, Anwälte und Verteidiger
sich mit der Vertretung der Parteien und der Wahrnehmung ihrer
rechtlichen Interessen befassen, wird in den ProzeßBordnungen als selbst-
verständlich vorausgesetzt. Nur unter dieser Annahme sind die Vor-
schriften der Prozeßordnungen durchführbar; die staatliche Aufgabe
des Rechtsschutzes soll und kann nach Maßgabe des bestehenden
Rechts nur unter Mitwirkung von Rechtsanwälten verwirklicht werden.
Die berufsmäßige Tätigkeit der Rechtsanwälte ist demnach für den
Staat notwendig; sie ist ein durch die staatliche Rechtsordnung selbst
erforderter Faktor der Rechtspflege, und man kann daher die Rechts-
anwaltschaft in derselben Weise wie die Staatsanwaltschaft als eine
Institution ansehen, welche einen Bestandteil der Gerichtsver-
fassung im weiteren Sinne bildet. Zwar läßt sich von fast allen
Berufsarten und Gewerben sagen, daß sie für die gedeihliche Entwick-
lung und das Bestehen des Staates notwendig oder nützlich sind; aber
während die übrigen Gewerbe wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen
Bedürfnissen dienen, hat der Rechtsanwalt sein Arbeitsfeld auf einem
Gebiet, das ganz eigentlich zur Entfaltung der wesentlichsten Staats-
tätigkeit dient; er ist ein Mitarbeiter an der Rechtspflege. In diesem
Sinne sind die Berufsgeschäfte des Rechtsanwalts als ein öffent-
liches Amt zu bezeichnen. Hieraus ergeben sich aber zahlreiche
Konsequenzen. Der Staat, welcher die Funktion des Rechtsanwalts
dem System seines Gerichtswesens einverleibt, muß auch die Garantie
dafür haben, daß diese Tätigkeit den von ihm gestellten Anforderungen
entspreche. Er muß daher die Bedingungen normieren, unter welchen
er jemanden zur Rechtsanwaltschaft zuläßt; er muß über die Amts-
führung der Rechtsanwälte eine gewisse Aufsicht führen, eine Disziplinar-
gewalt organisieren, unter gewissen Voraussetzungen auch die Ent-
fernung aus dem Amte ermöglichen; er kann ferner den Rechtsan-
wälten gewisse spezielle Amtspflichten auferlegen. Ja es kann dieser
Gesichtspunkt so weit festgehalten werden, daß die Rechtsanwälte ge-
radezu wie Staatsbeamte behandelt, von der Regierung für bestimmte
Stellen ernannt, versetzt, entlassen werden usw., und daß sie von an-
deren Staatsbeamten sich hauptsächlich nur dadurch unterscheiden,
daß sie nicht einen festen Gehalt beziehen, sondern auf die für ihre
Amtsverrichtungen zu erhebenden Gebühren angewiesen sind. Das
1) Strafprozeßordnung $S 138, 144.