Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 92. Die Zeugenpflicht. 485 
vorgenommene Befragung und Vereidigung des Zeugen und die von 
ihm verfaßte Protokollierung seiner Aussage eine ordnungsmäßige, den 
Formvorschriften über das Verfahren entsprechende ist; oder einen 
staatsrechtlichen, d.h. daß sein Befehl, der Zeugenpflicht zu 
genügen, ein verbindlicher und zwingender ist. So ist z. B. die einem 
Reichskonsul vom Reichskanzler auf Grund des $ 20 des Konsulats- 
gesetzes erteilte Befugnis zur eidlichen Vernehmung von Zeugen von 
lediglich prozessualischer Bedeutung; sie begründet für niemanden 
eine staatsrechtliche Verpflichtung, sich zeugeneidlich vernehmen zu 
lassen !). 
Befugt, die Erfüllung der Zeugenpflicht zu gebieten, sind: 
1. Die ordentlichen Gerichte in den zu ihrer Kompetenz 
gehörenden Strafsachen?, bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten °), 
Konkursen‘*) und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit’). 
Der Staatsanwaltschaft steht in Strafsachen die Befugnis nicht zu, die 
Ablegung eines Zeugnisses zu verlangen °), und noch weniger haben die 
Polizeibehörden ein solches Recht; ist zum Zweck der Vorbereitung 
der öffentlichen Klage eine Zeugenvernehmung erforderlich, so muß 
die Staatsanwaltschaft denAmtsrichter um Vornahme dieser Hand- 
lung ersuchen‘). Ebensowenig steht in bürgerlichen Rechtsstreitig- 
keiten einem Schiedsrichter diese Befugnis zu; zwar können 
Schiedsrichter — wie die Zivilprozeßordnung 8 1035 sagt — Zeugen 
vernehmen, welche freiwillig vor ihnen erscheinen, ohne daß sie 
dieselben vereidigen dürfen; diese Befugnis aber hat jeder Mensch 
von selbst, ohne daß er einer gesetzlichen Ermächtigung dazu bedarf. 
Ergibt sich in einem schiedsrichterlichen Verfahren die Notwendigkeit, 
jemanden zur Ablegung eines Zeugnisses anzuhalten oder ihm einen 
Zeugeneid abzunehmen, so muß auch hier ein Antrag an das ordent- 
liche Gericht gemacht werden °). 
1) Sie steht in dieser Beziehung auf einer Linie mit den Bestimmungen der Aus- 
führungsgesetze zum Gerichtsverfassungsgesetz darüber, ob Referendare befugt 
sind, Zeugen eidlich zu vernehmen oder nicht. 
2) Strafprozeßordnung 8$ 48 ff. 3) Zivilprozeßordnung SS 373 ff. 
4) Konkursordnung 8 75. 5) Gesetz vom 20. Mai 1898, $ 15. 
6) Die Staatsanwaltschaft ist zwar nach $ 159 der Strafprozeßordnung befugt, 
„Ermittelungen jeder Art, mit Ausschluß eidlicher Vernehmungen, entweder selbst 
vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheits- 
dienstes vornehmen zu lassen“, aber nur soweit das Publikum freiwillig sich be- 
reit finden läßt, den Beamten der Staatsanwaltschaft oder Polizei Auskunft zu geben; 
eine Verpflichtung hierzu ist in keinem Falle begründet und kann auch landesgesetz- 
lich hinsichtlich der zur ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit gehörenden Ange- 
legenheiten nicht eingeführt werden. So auch das Reichsgericht im Urteil 
vom 22. November 1883 (Entsch. in Strafsachen IX, S. 433) und die überwiegende 
Zahl der Schriftsteller über den Strafprozeß. Vgl. die Literaturangaben bei Löwe 
Note 3b zu $ 159. 
7) Strafprozeßordnung $ 160. 
8) Zivilprozeßordnung 8 1036.
	        
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